Maedchenauge
irgendetwas Konkretes gefunden worden, das auf die Täterschaft im Mordfall Jordis hindeuten könnte?«
»Leider nein.«
»Besitzt Tom Saborsky ein Auto?«
»Es gibt einen alten Saab, der dem Vater gehört hat. Nicole Saborsky fährt einen Fiat.«
»Was wir vor allem brauchen, sind lückenlose Biografien von Tom und Nicole Saborsky. Kümmern Sie sich darum?«
Bardel stöhnte. »Da bin ich gerade dabei, eine Heidenarbeit.«
»Und sehr wichtig«, sagte Lily, während sie aufstand.
Belonoz streckte den Arm in Lilys Richtung aus, als wollte er sie zurückhalten. »Eines sollten wir unbedingt noch klären, Frau Doktor. Nämlich was wir den Medien sagen.«
»Ich schlage eine Informationssperre vor. Aber so, dass es keiner merkt. Das fehlte gerade noch, dass eine Gaby Koch irgendwelche Halbwahrheiten verbreitet. Wenn es Anfragen von Journalisten gibt, sagen Sie, dass Sie von nichts wissen. Dementieren Sie, was das Zeug hält. Verweisen Sie immer auf mich oder Major Belonoz. Oberstaatsanwalt Lenz ist kein Problem. Er findet die Sache heikel, also wird er abwarten, was herauskommt. Die unbekannte Größe ist der Anwalt von Tom Saborsky. Er könnte versuchen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Aber das kann man blockieren. So, jetzt werde ich mich mit Nicole Saborsky befassen.«
Belonoz lächelte schief. »Bei uns sind Sie schon für Ihre Intuition berühmt. Was denken Sie über Nicole und Tom? Ist das die richtige Spur?«
Lily musste ein paar Sekunden nachdenken, bevor sie antwortete. »Momentan geht es um die Fakten. Erst danach folgt die Bewertung. Das darf man nicht vermischen. Sonst lässt man sich von den falschen Gedanken leiten. Also weder vom Intellekt noch vom Gefühl. Sondern vom puren Ehrgeiz. Das ist eine Falle, in die schon viele Ermittler getappt sind. Wenn das Ziel, möglichst rasch eine Lösung zu finden, alles überschattet, begeht man Fehler, die irreparabel sind.«
*
Im Verhörzimmer in der Kriminaldirektion stand eine Videokamera. Lily legte ein Bündel Akten auf den Tisch und setzte sich. Neben ihr nahm Belonoz Platz.
»Einvernahme von Nicole Saborsky, anwesend sind Staatsanwältin Horn und Major Belonoz«, sagte Lily ordnungsgemäß. »Frau Saborsky, wie geht es Ihnen?«
Zusammengekrümmt saß die Angesprochene auf ihrem Sessel. Sie trug ein verwaschenes T-Shirt, enge Jeans und teure Stöckelschuhe. Die Handschellen waren ihr abgenommen worden. Sie starrte auf die Tischplatte und vermied jeden Blickkontakt mit Lily.
Es dauerte, bis sie endlich zu sprechen begann. »Ich weiß überhaupt nicht, was das alles soll. Warum bin ich überhaupt hier? Wieso haben Sie mich verhaftet, warum ist meine Wohnung durchsucht worden? Ich sollte jetzt auf der Uni sein und …«
»Keine Sorge, Frau Saborsky«, sagte Lily beruhigend sanft und lächelnd. »Wenn Sie uns helfen, ist diese Angelegenheit in Windeseile bereinigt. Sie haben nach Ihrer Festnahme gesagt, dass Sie keinen Anwalt benötigen. Bleiben Sie dabei? Ich würde Ihnen raten …«
»Wozu brauche ich einen Anwalt? Ich habe nichts getan. Das muss ein Irrtum sein.«
»Ich werde dafür sorgen, dass Ihnen ein Anwalt zur Seite gestellt wird, der Ihre Rechte wahrnimmt.«
Plötzlich war Nicole sehr energisch. »Nein, das will ich nicht. Niemand soll sich in meine Angelegenheiten einmischen. Ich brauche keine Wichtigmacher. Sagen Sie mir endlich, was Sie von mir wollen!«
»Eine junge Frau ist qualvoll ums Leben gekommen. Darum geht es. Reicht Ihnen das jetzt?«
Nicole Saborsky wurde still. Schließlich begann sie zu flüstern: »Was geht das mich an?«
»Das finde ich seltsam. Die meisten Menschen reagieren ganz anders, wenn jemand ermordet wird, den sie gekannt haben. Sie sind erschüttert. Und wütend auf den Täter. Dagegen sind Sie, Frau Saborsky, eher emotionslos. Haben Sie dafür eine Erklärung?«
Nicole Saborsky wand sich kurz auf ihrem Stuhl. »Sie war keine enge Freundin von mir. Ich habe sie nur flüchtig gekannt. Soll ich deswegen gleich ausflippen?«
»Das verlangt niemand von Ihnen. Aber Sie hätten sich doch bei der Polizei melden und sich als Zeugin zur Verfügung stellen können.«
»Warum denn bitte? Wieso bin ich eine Zeugin?«
»Immerhin haben Sie mit Selma Jordis Kontakt gehabt. Es gibt Leute, die Sie und Selma zusammen gesehen haben. Da wäre es logisch, dass man zur Polizei geht und sein Wissen anbietet. Schließlich könnten Sie über Kenntnisse verfügen, die zur Aufklärung des Verbrechens beitragen.«
Widerwillig
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