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Maedchenauge

Maedchenauge

Titel: Maedchenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian David
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glaubt hier jemand, dass wir innerhalb der verbleibenden Zeit jemanden finden, der in das Raster passt?«
    Das Schweigen lastete im Raum.
    Deshalb wirkte das kurze Summen von Lilys Handy umso lauter. Jemand hatte ihr eine Nachricht geschickt. Lily wollte nicht auf das Ende der Sitzung warten. Ein warnendes Gefühl befahl ihr, sofort nachzuschauen.
    Sie nahm ihr Telefon zur Hand. Die Mitteilung kam von Descho und war unmissverständlich.
    Bitte anrufen. Notfall.
    Lily entschuldigte sich und raste beinahe auf den Korridor hinaus.
    Bereits nach dem ersten Läuten hob Descho ab. »Gut, dass Sie so schnell zurückrufen. Vor einer Stunde hat sich Herbert Karner in einer Salzburger Polizeiinspektion den Behörden gestellt. Dort hat er gestanden, Zach getötet zu haben.«
    »Der Vater von Magdalena hat …?«
    »Ja, und er soll gesagt haben: Jetzt ist das Schwein endlich tot. «
    *
    Ihren besonderen Status bewies Sasha Bonino dadurch, dass sie erst zur Redaktionskonferenz um elf Uhr im Haus erschien. Ihre Mitarbeiter mussten bis dahin längst Präsenz gezeigt und sich durch andere Zeitungen gewühlt haben. Wer sich anders verhielt, erregte Argwohn. Nur für Bonino galten Sonderrechte. Sie kam, hörte zu und entschied. Mehr hatte sie nicht nötig. Auch in ihrer Abwesenheit wussten sämtliche Mitarbeiter stets, wen sie zu fürchten hatten.
    An diesem Vormittag bedeutete ihr die Sekretärin, noch rasch die E-Mail zu lesen, die Lily Horn vor etwas mehr als einer Stunde geschickt hatte. Die Sekretärin hatte sie ausgedruckt.
    Bonino zögerte zunächst. Bis die Neugier siegte.
     
    Sehr geehrte Frau Bonino,
    ich schätze die Pressefreiheit. Sie ist eines der wichtigsten Güter der Demokratie.
    Aber sie berechtigt Sie nicht dazu, in Ihrem Blatt die Ermittler einer tragischen Mordserie zu verunglimpfen. Herablassende, geradezu diffamierende Kommentare, wie sie von Ihrer Redakteurin Gaby Koch verfasst werden, sind nicht hinnehmbar.
    Wenn Ihre Zeitung etwas Wesentliches zum Fall beizutragen hat, unterstützen Sie das bitte. Ansonsten ersuche ich Sie, den Ton Ihres Blattes zu versachlichen. Es geht um Menschen, die ihr Leben auf grausame Weise, durch die Hand eines Mörders, verloren haben. Wir tun alles in unserer Macht Stehende, um die Person auszuforschen, die dafür die Verantwortung trägt. Es ist anmaßend, unser Bemühen auch nur andeutungsweise in Frage zu stellen.
    Bitte überlegen Sie, ob Ihr Blatt von nun an dazu beitragen möchte, die Verbrechen aufzuklären. Oder ob Sie weiter Polemik betreiben möchten.
    Mit besten Grüßen,
    Dr. Lily Horn,
    Staatsanwaltschaft Wien
    P.S.: Dies ist kein Leserbrief, sondern ein persönliches Schreiben. Eine Veröffentlichung des Textes oder von Teilen daraus müsste ich gemäß Medienrecht verfolgen lassen.
    Zunächst staunte Sasha Bonino. Drei-, viermal las sie ungläubig die Nachricht. Sie konnte nicht fassen, dass jemand ihr gegenüber tatsächlich einen derartigen Ton anschlug.
    Schließlich wurde sie von kalter Wut ergriffen. Ihr Puls raste. »Was glaubt diese blöde kleine Beamtin, wer sie ist? Sie wird vom Geld der Steuerzahler erhalten und leistet sich noch große Sprüche? Die muss verrückt geworden sein, sich mit mir anzulegen. Völlig durchgedreht, ein Fall für die geschlossene Abteilung.«
    Erbost hatte Bonino diese Worte ihrer Sekretärin entgegengebrüllt, wobei sie beinahe in den längst abgelegt geglaubten oberösterreichischen Dialekt verfallen wäre.
    Sofort zog sie sich in ihr Büro zurück. Wo sie am liebsten mit sämtlichen zur Verfügung stehenden Objekten herumgeschmissen hätte. Früher, als Rudolf Bonino schon sehr alt und gebrechlich gewesen war, hatte sie sich ähnlich benommen. Wenn ihr verwehrt worden war, wonach es sie gelüstet hatte. Wenn sie ihren Willen nicht hatte durchsetzen können. Ihr Mann hatte hilflos zusehen müssen. Kurz vor seinem Tod war ihm in solchen Situationen zum Weinen gewesen.
    Als Sasha Bonino etwas zur Ruhe gekommen war und sich gerade in das untere Stockwerk zur Redaktionskonferenz begeben wollte, kam ein Anruf. Mit von unterwürfiger Verzagtheit gequältem Gesichtsausdruck erkundigte sich die Sekretärin, ob sie eventuell verbinden solle.
    »Wer will etwas von mir?«, fragte Bonino barsch.
    »Die Bürgermeisterin.«
    *
    Sie hatte darauf gewartet. Doch es kam nicht. Obwohl sie es einkalkuliert hatte. Das Gefühl blieb vollkommen weg, als wäre es ihm befohlen worden.
    Lily spürte keinerlei Flugangst. Mit Erstaunen registrierte sie

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