Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maedchenauge

Maedchenauge

Titel: Maedchenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian David
Vom Netzwerk:
das, während sie aus dem dick verglasten Fenster des Hubschraubers schaute. Da zog die österreichische Landschaft an ihr vorüber, von der Ebene ging es zügig in die Alpen.
    Plötzlich wurde Lily bewusst, wie herrlich dieses Land war. Wie sehr diese Täler, Berge, Seen, Wälder, Dörfer und Straßen einen Teil ihrer Identität ausmachten. Sie empfand ein Gefühl der Zugehörigkeit, das sie in dieser Form noch selten zuvor empfunden hatte. Der exakte Gegenpol zu jenem Drang, nach New York zu gehen. Da war sie entflohen, gejagt von ihrer Sucht, endlich ein Zuhause und die erstrebte feste Beziehung zu finden. Sie hatte Ketten abschütteln, eine neue Existenz begründen und frische Wurzeln schlagen wollen.
    Nun erkannte sie, dass die New Yorker Episode nötig gewesen war. Für die Einsicht, dass sie Wien und Österreich verbunden war. Weit über den Rooseveltplatz hinaus. Dass sie zwar überall in der Welt ein anderes, neues Zuhause basteln konnte. Aber das alte weiterbestand, immer bereit, sie willkommen zu heißen.
    Nach Deschos Anruf war Lily bewusst geworden, dass sie persönlich mit Herrn Karner sprechen musste, und zwar sofort. Sie hatte sich daran erinnert, wie unvermutet lebhaft und herzlich er am Schluss des Gesprächs auf sie reagiert hatte. Zugleich hätte sie es sich nicht leisten können, ihre Arbeit in Wien allzu lange im Stich zu lassen. Eine dreistündige Zugfahrt nach Salzburg und wieder zurück war ebenso ausgeschlossen wie die angesichts des sommerlichen Reiseverkehrs unkalkulierbare Westautobahn. Also hatte sie einen der Hubschrauber des Innenministeriums angefordert. Mit dem Eurocopter EC 135 der Flugpolizei benötigte sie rund eine Stunde für die Strecke.
    Descho erwartete sie. Der Hubschrauber konnte relativ nahe der Polizeidirektion landen, von dort war es nur noch ein Katzensprung in Deschos Büro.
    »Trotz der widrigen Umstände ist es nett, dass wir uns endlich persönlich kennenlernen«, sagte Lily freundlich.
    Der Kriminalbeamte lächelte stolz. »Ja, finde ich auch. Allerdings hätte ich mir eine andere Gelegenheit dafür gewünscht. Eine tragische Sache ist das schon. Zuerst verliert er seine Tochter, jetzt ist er womöglich zum Mörder geworden. Sicher aus Verzweiflung. So ein armer Kerl. Was in seinem Gehirn vorgeht, möchte ich gar nicht wissen.«
    »Glauben Sie eigentlich, dass er Zach ermordet hat? Was könnte sein Motiv sein?«
    »Dazu will er sich nicht äußern. Er behauptet lediglich, dass er es war. Wieder und immer wieder.«
    Eine Viertelstunde später, in einem vernachlässigt wirkenden Verhörkämmerchen, saß Lily Herrn Karner gegenüber. Mit ihrem Kollegen von der Salzburger Staatsanwaltschaft hatte sie vereinbart, dass sie ihn vernehmen durfte. Sie hatte sich als Begründung dafür ausgedacht, dass Karner trotz seiner Tat nach wie vor als Zeuge im Wiener Fall betrachtet werden musste. Doch der Kollege hatte gar nicht erst nachgefragt.
    Karner hatte den Raum in äußerst bockiger und verstockter Stimmung betreten. Doch seine Miene hellte sich auf, sobald er Lily erkannte. »Ja, Frau Staatsanwältin, das ist eine Ehre … Sie sind extra wegen mir nach Salzburg gekommen. Das vergesse ich Ihnen nie, das schwöre ich.«
    Lily reagierte sehr sanft. »Herr Karner, leider ist der Grund für unser Treffen kein angenehmer. Aber erzählen Sie mir zuerst, wie es Ihnen geht.«
    »Gut, hervorragend sogar, Frau Doktor«, sagte Karner voller Überschwang, doch seine Augen verrieten, dass er log. »Obwohl diese Leute hier kein Niveau haben. Keine Klasse. Mit Ihnen kann man die nicht vergleichen. Ich habe Ihnen ja damals erzählt, was ich von den Katholen und den Pfaffen halte. Jetzt hat dieses Gesindel eine auf den Deckel bekommen.«
    »Von Ihnen, Herr Karner?«
    »Freilich. Der Zach war schon seit langem auf meiner Abschussliste. Jetzt hat’s ihn erwischt, diesen Saukerl. Zeit war’s. Ich würde am liebsten sagen: Vergelt’s Gott.«
    Lily nickte ruhig. »Also haben Sie den Herrn Zach erschlagen.«
    »Der hat bekommen, was er verdient hat. Den Sauschädel hab ich ihm zertrümmert.«
    »Aber Herr Karner, bitte …«
    »Weil es doch wahr ist.«
    Lily hatte langsam angefangen, wie mit einem Kind mit ihm zu reden. »Also dass Sie plötzlich so schlimme Sachen anstellen … Man sieht, dass Sie noch immer sehr stark sind, nicht wahr?«
    »Stimmt genau, Frau Doktor. Mit der Kraft meiner Hände habe ich dem Zach die Leviten gelesen …«
    »Ich verstehe. Aber sagen Sie bitte, was war mit

Weitere Kostenlose Bücher