Maedchenauge
gesehen zu haben. Am Samstagabend ist sie angeblich gegen dreiundzwanzig Uhr schlafen gegangen. Ihre Wohnungstür hat sie erst geöffnet, nachdem sie das Rumoren unserer Beamten bemerkt hatte. Sagt sie zumindest.«
»Wie alt ist diese ältere Dame?«
»Sechsundachtzig.«
»Großartig«, lachte der Major hämisch. »Eine ideale Zeugin, wie aus dem Kriminalistiklehrbuch. Was ist eigentlich mit der Frau, der die Blutlache aufgefallen ist?«
»Die ist dreiundsiebzig und die Witwe eines Apothekers. Sie behauptet, dass sie täglich das gesamte Haus durchforstet. Weil es angeblich aus Kostengründen keinen fixen Hausmeister gibt, der technische Probleme behebt, und sie Angst vor einem Brand hat.«
»Ein Wahnsinn«, sagte Belonoz düster. »Alles Bisherige war wie eine leichte Brise. Jetzt kommt Sturm auf. Solange nicht irgendetwas passiert, das von dem Fall ablenkt, wird die Öffentlichkeit uns als Sündenböcke und Schießbudenfiguren benutzen.«
Belonoz lehnte seinen Kopf an die Rückenlehne und schloss kurz die Augen.
»Wir müssen«, fuhr er fort, »das gesamte Umfeld des Opfers durchleuchten. So gründlich, dass man uns nicht beschuldigen kann, irgendetwas ausgelassen oder übersehen zu haben. Außerdem sind eventuelle Querverbindungen zu den anderen Morden zu überprüfen. Das hat bisher zwar nichts gebracht, aber wer weiß … Dieser Täter ist enorm gefährlich. Die Mordserie wird erst aufhören, wenn wir ihn festnehmen. Oder wenn er stirbt.«
Belonoz dachte an die Beschwichtigungsversuche der letzten Tage. Forsch hatte die Wiener Vizebürgermeisterin verkündet, die beiden Morde seien noch kein Beweis für einen Serientäter. Möglicherweise sei alles purer Zufall, und eigentlich brauche sich niemand Sorgen zu machen. Keinesfalls dürfe man zwei tragische Todesfälle für politische Zwecke missbrauchen, hatte sie mit dramatischer Attitüde gepredigt.
Der Major verachtete das manipulative Geschwätz der Politiker. Selbstverständlich genügten zwei Morde, um von einem Serientäter zu sprechen. Vor kurzem hatte er mit Mario Promegger darüber diskutiert.
Skepsis war es, die seine grundsätzliche Haltung gegenüber Politikern bestimmte. Belonoz hatte die Ränkespiele diverser Parteifunktionäre wiederholt zu spüren bekommen, zuletzt bei seiner Ernennung zum Leiter der Mordkommission. Damals hatte man versucht, seine Bestellung unter allen Umständen zu verhindern. Das Innenministerium hatte sich sofort eingemischt, kurz darauf das Justizministerium. Fast schon verzweifelt hatten sie darauf gedrängt, einen devoten Jasager mit dem Posten zu betrauen. Womöglich jemanden, der zumindest irgendein Parteibuch besäße, also jedenfalls kalkulierbar gewesen wäre. Aber keinesfalls jemanden, der so eigenwillig und selbstbewusst war wie Belonoz. Wodurch die Politiker bewiesen hatten, aus dem großen Polizeiskandal nichts gelernt zu haben. Ihn hatten Beamte verursacht, die, ungeachtet ihrer Unfähigkeit, mit Rückendeckung einer politischen Partei an entscheidende Stellen gelangt waren. Belonoz vermied es, sich daran zu erinnern, sonst wäre ihm die Galle hochgekommen.
Es klopfte an der Tür, und im nächsten Augenblick stürmte eine energisch wirkende, dunkelhaarige Frau in den Raum. Sie war Mitte dreißig, trug sportliche Kleidung und Laufschuhe. Ihre markanten Gesichtszüge verrieten Stress und Anspannung.
Belonoz nickte ihr zu. »Ich habe mich schon gefragt, wo du dich herumtreibst.«
»Sorry, es ging nicht anders«, sagte Leutnant Nika Bardel atemlos und warf sich in den zweiten Sessel vor Belonoz’ Schreibtisch. »Ich war bei meinen Eltern in der Steiermark und hatte das Handy abgedreht.«
»Die Nachrichten hast du nicht verfolgt?«
»Erst im Auto auf der Rückfahrt hab ich gehört, was passiert ist. Dann hab ich auch eure Anrufe auf der Mobilbox bemerkt.«
»Man kann Handys auf lautlos stellen, anstatt sie ganz abzudrehen.«
»In dem Fall nicht«, gab Bardel knapp Auskunft. »Also, was ist der Stand der Dinge?«
Belonoz atmete tief ein und machte Bardel stichwortartig mit den wichtigsten Details des jüngsten Mordes vertraut. Als er gerade die ersten Untersuchungsergebnisse von Gerichtsmediziner Dalik referieren wollte, läutete das Telefon auf seinem Schreibtisch.
Belonoz lauschte und ließ nur gelegentlich ein »Mhm« und »Aha« fallen, dann schloss er mit »Bis später« und legte auf.
»Die Mozartkugeln werden langsam munter«, sagte er ohne erkennbare Emotion. »Sie haben die Eltern
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