Maedchenauge
sich Stotz verhielt, ob klug oder dumm, ständig vermutete man, dass er noch ein Ass im Ärmel verborgen hielt. Dies hatte den endgültigen Durchbruch des Berti Stotz bedeutet. Er musste nie mehr irgendetwas beweisen, im Gegenteil, permanent unterstellte man ihm, schon demnächst den vernichtenden Gegenschlag auszuführen. Es gab Journalisten, die glaubten, kritisch über Stotz zu berichten, indem sie dessen angebliche Strategie beschrieben. Tatsächlich bestätigten sie damit das Image des Bürgermeisters, und manche Gegenspieler wurden nervös. Aus reiner Nervenschwäche unterliefen ihnen Fehler, die Stotz auszuschlachten wusste.
Stotz hatte den Aufstieg der Vizebürgermeisterin beobachtet, seitdem die Koalition vor fast vier Jahren vereinbart worden war. Nie hatte er Lohner in dieser Zeit öffentlich zu diskreditieren versucht. Im Gegenteil, öffentlich hatte er sie gelobt, sooft es ihm möglich gewesen war. Zugleich hatte er den geeigneten Moment abgewartet, um Marina Lohner zu demontieren. Nun war dieser Punkt gekommen. Zwar spät, aber er war gekommen, und nur das zählte für Berti Stotz.
Er begleitete die Vizebürgermeisterin zur Tür und kehrte an seinen Schreibtisch zurück. Er massierte seinen linken Arm, der sich zuletzt etwas taub angefühlt hatte, und holte sein Handy aus der Hosentasche.
»Sie hat nichts geahnt und war völlig überrascht«, sagte der Bürgermeister ohne lange Vorrede und komplett entspannt. »Das Spiel geht in die nächste Runde. Und die liebeskranke Staatsanwältin, die ihrem Traummann nach New York nachgereist ist … Was soll man da noch sagen? Lächerlicher geht es nicht mehr. Das Schöne ist, dass zunächst niemand darüber reden wird. Lenz muss den Mund halten, obwohl er davon weiß. Denn sonst würde man ihn fragen, warum er die Ermittlungen ausgerechnet dieser Frau anvertraut hat. Ist das alles nicht unglaublich ironisch?«
Stotz lachte und beendete kurz darauf das Gespräch. Einen Moment lang überlegte er, bevor er eine andere Nummer wählte.
Nach dem dritten Läuten ertönte die Stimme von Sasha Bonino.
*
Nur ein einziges Mal, nämlich als Descho ihm mitgeteilt hatte, dass sich Herr und Frau Karner möglicherweise in Dienten aufhielten, schien der Pfarrer vorübergehend irritiert zu sein. Da hatte Descho sofort nachgehakt und sich erkundigt, ob denn das Ehepaar Karner noch irgendwelche Freunde oder Verwandte in Dienten besäße. Davon sei ihm bedauerlicherweise nichts bekannt, hatte der etwa fünfzigjährige Zach mit entschuldigender Miene erwidert und sich wieder gefangen.
»Das waren alle gute Katholiken, jeden Sonntag haben sie die Messe besucht«, hatte Zach oberflächlich die Familie Karner charakterisiert, die vor zehn Jahren zur Überraschung aller Dorfbewohner nach Salzburg umgezogen war. Und kaum mehr als freundliche Allgemeinplätze hatte Zach für Magdalena Karner gefunden.
»Ein liebes und fleißiges Mädchen, wie man es sich nur wünschen kann«, hatte Zach gesagt.
»Irgendwelche Probleme oder Konflikte, vielleicht mit den Eltern oder mit Freunden?«
»Nicht dass ich wüsste.«
»Sind Ihnen Vorkommnisse hier im Dorf erinnerlich, die Ihnen rückblickend als seltsam oder gefährlich erscheinen?«
»Überhaupt nichts. Da muss ich Sie enttäuschen. Hier bei uns gibt es noch die sprichwörtliche heile Welt. Die Dorfgemeinschaft funktioniert, einer kann sich auf den anderen verlassen.«
»Warum haben die Karners dann Dienten verlassen?«
»Na, wahrscheinlich wollten sie lieber in der Stadt leben. Und auch mehr verdienen. Herr Karner hat damals den örtlichen Supermarkt geleitet, Frau Karner war im Büro eines Liftbetreibers beschäftigt. In Salzburg haben sie sich vielleicht mehr erhofft. Eventuell auch bessere Chancen für ihre Tochter.«
»Es hat hier in Dienten auch nie Probleme mit Touristen gegeben? Also zum Beispiel mit Gästen, die hiesige Mädchen bedrängt haben? Und dabei gewalttätig geworden sind?«
»Sicher nicht. Sowas wäre mir garantiert zu Ohren gekommen. Es sei denn, es hat sich um eine absolute Lappalie gehandelt. Da behält man nicht alles so genau im Kopf. Die Zeit vergeht eben, manches vergisst man leider. Sie kennen das sicher. Bei den vielen Leuten, die Ihnen unterkommen. Mir geht es genauso.«
Da hatte Zach verschwörerisch gelächelt. Ganz so, als verstünde er den Kriminalpolizisten genau, weil er selbst ähnliche Erfahrungen gemacht hatte.
Descho verabscheute solche Attitüden. Er mochte es nicht, wenn sich jemand
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