Maedchengrab
»Mein Ausweis war nicht gut genug …«
» Wir hatten Neugierige im Überfluss«, erklärte Dempsey. »Sogar ein paar Reporter haben auf diese Weise ihr Glück versucht.«
»Darunter Ihr Neffe?«, fragte Rebus fast schon reflexartig. Sie blieb stehen und sah ihn durchdringend an.
» Was wollen Sie, Rebus?«
»Ich glaube, ich bin da auf etwas gestoßen.«
»Schreiben Sie’s auf, dann kann Page es mir vortragen.«
» Wir müssen den Dienstweg etwas abkürzen.«
» Warum?«
» Weil wir ihm sonst Zeit geben, Beweise zu vernichten.«
Sie dachte einen Augenblick nach. »Mit anderen Worten: Der Verdächtige weiß, dass Sie ihn im Visier haben?«
»Tut mir leid.«
Dempsey verdrehte seufzend die Augen. »Steigen Sie ein«, sagte sie. »Ich will mir anhören, was Sie zu sagen haben.«
Rebus kannte das Fahrtziel nicht und hatte daher auch keine Ahnung, wie viel Zeit ihm zur Verfügung stand. Er erzählte hastig und machte ein paar Fehler, so dass er sich wiederholen und korrigieren musste. Dempsey saß neben ihm, hatte die Armlehne zwischen sich und ihm heruntergedrückt. Klassische Musik dudelte leise vor sich hin – wohl eher ihre Wahl als die ihres Fahrers, vermutete Rebus. Hin und wieder stellte sie eine Zwischenfrage und sah ihn erst an, als er geendet hatte.
»Das ist alles?«, fragte sie. »Mehr haben Sie nicht?«
»Ich hatte schon weniger fundierte Verdachtsmomente.«
»Oh, das kann ich mir vorstellen.« Sie fing an, die Nachrichten auf ihrem Handy zu lesen. » Wir stecken bis zum Hals in Arbeit. Die Menschen verlangen ein Ergebnis, jeder Geisteskranke, der hier auf unserem Planeten wandelt, hat bei uns angerufen – angeblich um zu helfen – und entweder sich selbst oder einen verhassten Nachbarn angeschwärzt. Wir haben es mit Spiritualisten zu tun, die Verbindung zu den Opfern aufgenommen haben, und mit Geisterjägern, die nur mal für eine Nacht den Leichenfundort begutachten wollen. Jeder Mist muss archiviert, verzeichnet und in die Akten aufgenommen werden, und jetzt kommen Sie mir mit einem ›Verdachtsmoment‹?«
Sie schüttelte langsam den Kopf und lachte dann laut auf, um nicht, wie Rebus glaubte, vor Frustration und Wut loszuheulen.
»Eigentlich ist es ganz einfach«, argumentierte Rebus. »Sie lassen sein Haus, die Garage und den Lieferwagen durchsuchen. Außerdem überprüfen Sie die Aufzeichnungen der Überwachungskameras an der Tankstelle in Pitlochry von dem Tag, an dem Annette McKie verschwand. Dann fragen Sie ihn, wo er sich an den Tagen aufhielt, an denen die anderen Frauen entführt wurden.«
»Ich bin ungemein erleichtert, dass wenigstens einer von uns den Durchblick hat.«
»Mörder wohnen meist in unmittelbarer Nähe des Ortes, an dem sie die Leichen ihrer Opfer verschwinden lassen.«
»Das haben Sie von Ihrer Freundin Clarke.«
»Kenny Magrath kennt Edderton.«
Sie betrachtete ihn, als habe sie ihn noch nie zuvor gesehen. »Sie wirken übernächtigt«, sagte sie. »Übernächtigt und verkatert. Wann können Sie guten Gewissens behaupten, zum letzten Mal geradeaus gedacht zu haben? Mit klarem Kopf, ohne Kuddelmuddel oder Ungereimtheiten?«
»Sprechen wir jetzt von mir oder von Ihnen?«
»Von Ihnen.«
»Ich kann mir vorstellen, dass ein Fall wie dieser Sie dermaßen mürbemacht, dass Sie einfach nur noch wünschten, es würde aufhören.«
»Ich habe zu arbeiten, Rebus. Und ich meine arbeiten – nicht voreilige Schlüsse ziehen. Vergessen Sie nicht, dass wir möglicherweise immer noch eine Leiche zu wenig haben – trotz Ihres ›Verdachts‹ in Bezug auf Sally Hazlitt.«
»Sally Hazlitt lebt«, verkündete Rebus. »Ich habe sie in Glasgow getroffen.«
» Was?«
»Sie ist vor den Zudringlichkeiten ihres Vaters geflüchtet. Und, wie es aussieht, immer noch auf der Flucht.«
» Warum erfahre ich das erst jetzt?«
» Weil das an den Fakten nichts ändert. Da draußen läuft ein Killer frei herum, und ich habe Ihnen gerade einen Namen genannt.«
»Ich brauche mehr als einen Namen. Ich habe Dutzende von Namen! Wie konnten Sie es wagen, mir nichts von Ihrem Treffen mit der Frau zu erzählen?«
» Warum haben Sie nicht in die Akte gesehen?«, blaffte er sie unwillkürlich an.
Ihr Gesicht wurde noch finsterer, als sie sich an ihren Fahrer wandte. »Alex, halten Sie an! Sofort!« Dann zu Rebus: »Sie steigen aus.«
Der Wagen blieb mit quietschenden Reifen stehen. Rebus machte keinerlei Anstalten auszusteigen.
»Ich prophezeie Ihnen«, bohrte er weiter, »je länger
Weitere Kostenlose Bücher