Maenner und andere Katastrophen - Roman
Zeitpunkt natürlich noch nicht kannte.
»Nein, drittes, warum?«, sagte Katja und blickte nur kurz von der Romanze auf der Intensivstation auf. Ich fand sie sehr hübsch. Sie hatte braune Locken und braune Augen und ein bisschen Ähnlichkeit mit der Schönen auf dem Titelbild von »Glühende Küsse in Louisiana«. Ich kannte sie vom Sehen bereits aus dem Sprachwissenschaft-Seminar bei Professor Jahnson und war eigentlich der Meinung, dass sie Erstsemester sei wie ich.
»Nur so«, sagte der Sektenmitgliedsanwerber und ließ seinen Blick wieder suchend durch das Foyer gleiten.
Ich schluckte verblüfft. So einfach war das also. Eine schlichte, kleine Lüge, und man hatte die Zecke wieder vom Hals.
»Du Elstsemestel?« Der Sektenmitgliedsanwerber hatte sich mir zugewandt.
»N-nein«, stotterte ich. »Wieso fragst du?«
»Nur so«, antwortete der Sektenmitgliedsanwerber und musterte mich unschlüssig. Ich schaute abwartend zu ihm auf.
»Nur so«, wiederholte er schließlich und zog von dannen, ohne uns weiter zu belästigen.
»Bist du wirklich schon drittes Semester?«, fragte ich Katja, als er um die Ecke gebogen war.
»Nein, aber das darf man denen nicht sagen.« Katja grinste fröhlich. »Bist du nicht auch in dem Jahnson-Seminar?«
»Doch«, gab ich zu. »Es hat aber schon vor einer halben Stunde begonnen.«
Katja nickte. »Ich weiß«, sagte sie. »Ich wollte auch hingehen, aber das Buch war so spannend.«
»Genau wie meins.« Ich lachte. Katja lachte zurück.
Dies war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Katja und ich teilten die Vorliebe für kitschige Filme mit Happy-End und die Abneigung gegen rotgefärbte Kommilitoninnen und Seminare über Ältere Deutsche Sprache. Außerdem hatten wir beide einen kleinen Bruder, eine große Schwester und Probleme mit kleinen und großen Pickeln und Mitessern, die sich entgegen aller Prognosen auch ein Jahrzehnt nach Beginn der Pubertät noch hartnäckig in unseren Gesichtern breitmachten. Wie sich herausstellte, litt auch Katja unter einem Freund, der - genau wie Holger - glaubte, allein die Gnade, mit ihm befreundet zu sein, entschädige voll und ganz für die Ignoranz partnerschaftlicher Werte, insbesondere denen von Treue und Ehrlichkeit. Katjas Freund spielte sogar mit Holger in derselben Basketballmannschaft. Ein Wunder, dass wir uns nicht schon viel früher begegnet waren.
Gemeinsam quälten wir uns von diesem Tag an durch die Verserzählungen der mittelhochdeutschen Dichtung und die sprachwissenschaftlichen Barrieren bis zur Zwischenprüfung. Beide schworen wir uns, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit das Studium hinzuschmeißen.
Leider hatte sich bis zu diesem Tag keine Gelegenheit geboten.
Besonders hartnäckig bestärkten wir uns gegenseitig darin, dass es besser sei, diverse Seminare ausfallen zu lassen und stattdessen etwas wirklich Sinnvolles zu tun. Wir gingen vormittags ins Kino, lagen an warmen Tagen auf den Uniwiesen herum und tranken literweise Kakao in kleinen, netten Cafés.
Außerdem jobbten wir beide stundenweise in einem Büro als Aushilfen und verbrachten genussvoll jede Menge Zeit damit, das hart erarbeitete Geld wieder auszugeben.
Das taten wir auch an diesem Montag. Wir strichen das Seminar über die Lyrik Thomas Bernhards aus unserem Stundenplan und fuhren in die Innenstadt.
Im Laufe der Jahre hatten wir ein Spiel entwickelt, das wir »Viel-für-möglichst-wenig« genannt hatten. Wer am Ende eines Einkaufsbummels die meisten Dinge für den geringsten Betrag erworben hatte, wurde vom anderen zum Kakao eingeladen.
Ich trug diesmal den Sieg davon, weil ich vierzehn Gegenstände zu einem Durchschnittspreis von sage und schreibe zwei Mark dreiundzwanzig erworben hatte. Darunter war ein Bändchen aus dem modernen Antiquariat mit dem Titel »Sprichwörter und Spruchweisheiten aus aller Welt«.
Auf der Suche nach einem Café für den Siegerkakao las ich Katja daraus vor, und sie musste raten, aus welchem Land die Weisheit stammte.
»Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.«
»Holland.«
»Hunger ist der beste Koch.«
»Äthiopien.«
»Wer sein Herz dem Ehrgeiz öffnet, verschließt es der Ruhe.«
»Das könnte von mir sein, ehrlich«, seufzte Katja.
»Alle Hügel nennen sich selber Berge«, sagte ich mahnend.
Nach dem Siegerkakao im Café fuhren wir zurück zur Uni. Katja wurde hier jeden Abend von ihrem Freund Jens abgeholt. Jens machte gerade sein Examen an der wirtschaftswissenschaftlichen
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