Maenner und andere Katastrophen - Roman
der schrecklichen Kiebig im zweiten Stock hatte ein kleiner, alter Mann gemietet, der dort schon gewohnt hatte, bevor ich geboren war. Er war ein lieber, friedfertiger Pensionär, den wir »Onkel« nannten und der uns Pralinen und krunkelige, kleine Geldscheine zuzustecken pflegte. Seine Tage verbrachte er mit dem Basteln wunderlicher Gebrauchsgegenstände und dem Renovieren seiner Wohnung. Darunter verstand er in erster Linie das Tapezieren und das Anbringen von Bildern und Borden. In seinem Wohnzimmer konnte man allein fünfundzwanzig verschiedene Tapetenmuster aus vier Jahrzehnten bewundern, und die Wände waren mit Hunderten und Aberhunderten von Schraub- und Nagelmalen versehen, die ganz eigene, faszinierende Muster bildeten.
Im Erdgeschoss schließlich hatte meine Schwester Rebecca einen Modeladen, in dem sie ihre eigenen Modelle verkaufte, und sie selbst wohnte im ersten Stock. Beide, der Onkel und meine Schwester, waren nette Hausbewohner, aber natürlich nichts verglichen mit den interessanten, reichen und gutaussehenden Single-Männern von Bille, wenn's denn wahr war.
»Du hast es gut«, seufzte ich in den Hörer.
»Ja«, seufzte Bille glücklich zurück. »Und wenn du erst die Wohnung siehst!«
Meine Wohnung lag unter dem Dach. Früher hatte ich sie mit meinem Bruder Mo teilen müssen. Obwohl sie verhältnismäßig groß war, drei Zimmer, Küche, Diele, Bad, war sie Mo und mir bald eng und winzig vorgekommen. Er hatte eine eigenartige Vorliebe für grell gemusterte Möbel aus den sechziger und siebziger Jahren, die er von überall her anschleppte. Außerdem pflegte er bizarre Kunstobjekte aus Eisenschrott zusammenzuschweißen, die die Größe von Wohnzimmerschränken erreichen konnten. Seine Freunde kamen immer dann, wenn ich gerade meine Ruhe haben wollte, und der Kühlschrank war auch ständig leer.
Seit über einem Jahr aber hatte ich die Wohnung für mich ganz allein. Mo war zu seinem Freund Steffen gezogen, mit dem er jetzt eine riesige Fabrikhalle auf einem stillgelegten Industriegelände bewohnte. Er hatte alle seine verrosteten Kunstwerke, seine deprimierenden Bilder, die stockfleckigen Autositze und die fürchterliche Plastikschalensitzgruppe in Ostereigelb mitgenommen. In der Fabrikhalle fiel das alles nicht weiter auf - was sich in unserer Mansarde wie ein terroristischer Anschlag auf die menschlichen Geschmacksnerven ausgenommen hatte, entfaltete in der neuen Umgebung sogar einen farbigen Charme.
Als Mo ausgezogen war, begann ich wieder Freude am Wohnen zu bekommen. Innerhalb dieses Jahres war es mir gelungen, der Wohnung meinen ganz persönlichen Stil aufzudrängen und Mos Überreste gründlich zu entfernen. Aus den drei mit Sondermüll vollgestopften Schreckenskammern war eine helle, reizvolle Zimmerflucht geworden, in der ich dann auch einer von Mos Eisenskulpturen erlaubte, ein bizarres, innenarchitektonisches Highlight zu bilden. Es handelte sich dabei allerdings um ein kleineres Werk, nicht größer als ein Stuhl.
Wenn Mo mich besuchen kam, pflegte er auf das Objekt zu deuten und zu sagen: »Du weißt gar nicht, was für ein Glück du hast. Eine Galerie würde mir Zig-tausende dafür bieten.«
Ich nahm das Telefon und die beneidenswerte Bille mit zur Badewanne zurück.
»Wieder unter Wasser, Madame Cousteau?«, unterbrach sich Bille, als sie es plätschern hörte.
Hier im Bad hatte ich nämlich besonders gravierende Veränderungen nach Mos Auszug vorgenommen. Die fleckige Decke, den schäbigen Heizkörper, die Regale und die Wände oberhalb der blassen, uralten Kacheln hatte ich in einem mediterranen Blau gestrichen und kleine Fischschwärme, Wasserpflanzen, Luftblasen und Tintenfische darauf gemalt. Die hässlichen Lampen wurden hinter alten Netzen versteckt, sodass sie jetzt nur noch spärliches, geheimnisvolles, grünes Licht gaben. Über die trüben, grauen Bodenfliesen war glattes, weißes Linoleum geklebt worden, auf das ich mit Schablonen Muscheln und mit Hilfe von Zahnbürsten sandähnliche Sprenkel mit Buntlack gesprüht hatte. Auf den Wänden waren Muscheln, Seesterne und Seeigelhüllen aus sämtlichen vergangenen Sommerurlauben befestigt, und aus einer Kaufhausdekoration in der Bademodenabteilung hatte ich außerdem lustige Fische und Seepferde aus Pappmaschee erstanden, die jetzt an Nylonschnüren von der Decke baumelten. Zu guter Letzt hatte ich all meine kunterbunten, aus der Mode gekommenen Handtücher nach guter, alter Susanna-Färbetradition blau und grün
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