Maenner und andere Katastrophen - Roman
Zustand gesehen hat, wird dich nie vergessen«, behauptete Katja und lachte fröhlich bei der Erinnerung daran. »Mein Gott, hat das komisch ausgesehen.«
Rebecca kam mit dem braun gelockten genau auf uns zu, und ich spürte mit Schrecken, wie mein Gesicht ganz heiß wurde.
»Das ist meine Schwester Judith«, erklärte Rebecca. »Und das ist Leonard Jensen, von dem ich dir erzählt habe. Er würde gern die Kiebig-Wohnung mieten.«
»Hallo«, sagte ich atemlos.
»Hallo«, antwortete der Braungelockte.
Er sah noch viel netter aus, als ich ihn in Erinnerung hatte. Ich lächelte ihn entzückt an, und mir schien es, als würde er mindestens ebenso entzückt zurücklächeln.
»Wenn du so lieb wärst und ihm die Wohnung zeigen würdest«, bat mich Rebecca. »Dahinten steht der Mensch vom Stadtanzeiger und möchte endlich sein Interview mit mir!«
»Gern«, sagte ich, raffte mein wunderbares Sternenkleid zusammen und schritt vor Leonard - was für ein wunderschöner Name! - durch die Menschenmenge. Sie teilte sich ganz von selbst.
»Irgendwie habe ich geahnt, dass wir uns wiedersehen würden«, behauptete Leonard, als wir im Treppenhaus waren. Er hatte eine wirklich schöne Stimme.
»So?« Ich schwebte in den zweiten Stock hinauf, ohne eine Treppenstufe zu berühren. Wie war das möglich?
»Ja«, antwortete Leonard.
Die Tapete mit den weißen Narzissen auf grellgrünem Grund leuchtete uns entgegen, als ich die Kiebig-Türe aufschloss.
»Das wäre also die Wohnung«, erklärte ich und schwebte über den grün-gelb geringelten Teppichboden.
Leonard schien von der Farben- und Mustervielfalt völlig unbeeindruckt zu sein. Er sah nicht mal hin.
»Wohnst du auch hier im Haus?«
»Ja, unter dem Dach.«
»Gut, ich nehm die Wohnung«, sagte er. »Ich hab auch noch was von dir.«
»Von mir?«
Leonard nickte. Er nahm eine gelbe, gedrehte Schnur aus seiner Hemdtasche und ließ sie vor meinem Gesicht hin- und herbaumeln.
Ich schluckte, als ich erkannte, was es war. Eine Schnur aus Haar. Meinem Haar! Pling! machte es, und die Gehirnhälfte, die die Aufgabe hatte zu überprüfen, ob er eine Mutter mit einem Kanarienvogel besaß, »Proviant« buchstabieren konnte, zwanghaft Pappfiguren und Operngläser mitgehen ließ oder seine Ex-Freundin gar als aufgewecktes, bildhübsches Dingelchen bezeichnete, hörte auf, mit der anderen Gehirnhälfte zu kommunizieren.
Und das Unheil, so alt wie die Menschheit, nahm seinen Lauf.
»Was für schöne Blumen«, meinte Leonard und zeigte auf Frau Kiebigs alte Tapete. »Sind das Osterglocken?«
Kerstin Gier hat als mehr oder weniger arbeitslose Diplompädagogin 1995 mit dem Schreiben von Frauenromanen begonnen. Mit Erfolg: Ihr Erstling Männer und andere Katastrophen wurde mit Heike Makatsch in der Hauptrolle verfilmt, und auch die nachfolgenden Romane erfreuen sich großer Beliebtheit. Ein unmoralisches Sonderangebot wurde mit der »DeLiA« für den besten deutschsprachigen Liebesroman 2005 ausgezeichnet.
Heute lebt Kerstin Gier, Jahrgang 1966, als freie Autorin mit Mann, Sohn, zwei Katzen und drei Hühnern in einem Dorf in der Nähe von Bergisch Gladbach.
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