Männer und der ganz normale Wahnsinn
ein. Wir drücken und küssen uns – es ist schließlich schon ziemlich lange her, dass ich die Kleine gesehen habe. Genüsslich atme ich ihren sauberen Kindfrau-Duft ein.
„Gott! Du hast dein Haar abgeschnitten“, sagt sie mit riesigen Augen.
„Gefällt’s dir?“
„Es sieht total klasse aus.“ Sie zerrt an einer Strähne ihres samtigen Haars und schaut es böse an. „Würde mir das auch stehen?“
„Wenn du dein Haar abschneidest, bringe ich dich um“, entgegne ich sanft, und sie kichert.
Dichter Verkehr. Nach fünf Minuten auf der Third Avenue, in denen wir uns kaum vorwärts bewegt haben, hämmere ich gegen die Plexiglasscheibe und schlage dem Fahrer vor, die 96. Straße durch den Park zu nehmen. Er nickt und biegt ab.
Alyssa beginnt, von Jungs zu erzählen. Zwei sind augenblicklich wichtig in ihrem Leben, beide hat sie im Sommermusik-Unterricht kennen gelernt (sie spielt Klavier). Der eine mag sie, ist aber ein Blödmann. Der andere ist total cool, weiß aber nicht, dass sie überhaupt existiert.
Ich seufze. „Das kenne ich. Ich glaube, ich war schon in der letzten Klasse der High School, bis ich einmal einen Jungen gemocht habe, der gleichzeitig in mich verliebt war.“
Blankes Entsetzen spiegelt sich auf ihrem Gesicht. „Du meinst, ich muss noch so lange warten?“
„Du kannst mir eines glauben“, erkläre ich, während ich an meine eigene Situation denke, „dann gehen die Probleme erst richtig los.“
Doch schon spricht sie über etwas anderes: Darüber, dass ihr Vater ihr verbietet, etwas Bauchfreies zu tragen, nicht einmal ein Millimeter ihres Bauches dürfe zu sehen sein, und das, obwohl all ihre Freundinnen so rumlaufen. Deren Eltern wären nicht so bescheuert, und wann würde er endlich kapieren, dass sie kein Kind mehr ist?
Sie verzieht das Gesicht. Ich lache, bin mir allerdings bewusst, dass ich eines Tages meinem eigenen Kind ebenfalls verbieten werde, mit zwölf seinen Bauch zu zeigen. Allerdings weiß nur Gott allein, was zwölfjährige Mädchen in der Zukunft tragen werden.
Den Rest der Fahrt unterhalten wir uns ganz angeregt, und ich hätte dieses Gespräch noch mehr genossen, wenn ich nur geahnt hätte, welches Chaos zu Hause auf mich wartet. Denn in der Sekunde, in der ich die Tür aufschließe, schießt Geoff aus der Wohnung, umkreist uns drei Mal, rast dann zur sich gerade schließenden Aufzugtür, wo er seinen Hintern auf die Fliesen pflanzt und mich fordernd anschaut. Dann sehe ich meine Mutter – die heute Morgen erst verlauten ließ, dass sie keine Morgenübelkeit habe. Sie kommt aus dem Badezimmer in den Flur gestolpert, ganz offenbar hat sie sich ziemlich heftig übergeben. Meine Großmutter informiert mich darüber, dass Shelby vor einer halben Stunde angerufen hat, verzweifelt, weil Mark sie mit irgendwelchen Eintrittskarten für ihren Geburtstag überrascht hat, der Babysitter aber plötzlich absagte, und Nonna meinte, das sei kein Problem, sie solle sie nur vorbeibringen – und übrigens würde Terrie im Wohnzimmer auf mich warten.
Haben Sie das alles mitgekriegt?
Ich reiche Alyssa ihre Tasche, sage, sie soll sie in mein Zimmer bringen, und wende mich dann an meine Großmutter: „Nonna, ich habe heute Abend eine Verabredung, du erinnerst dich?“
Nonna verzieht ihr Gesicht, als hätte sie in eine Grapefruit gebissen, und mir wird klar, dass sie sich tatsächlich gut daran erinnerte, aber insgeheim hoffte, ich hätte es vergessen. Dann streckt sie die Schultern und sagt: „Ist kein Problem. Alyssa kann auf die Bambini aufpassen. Und du mach dich fertig, geh zu deiner … Verabredung.“
Genau.
Alyssa, die getan hat, was ich ihr aufgetragen habe, steht jetzt hinter Nonna (mir fällt auf, dass sie gut fünfzehn Zentimeter größer als meine Großmutter ist) und sagt zustimmend: „Ist okay, Ginger, echt. Ich bin immer bei den Jorgensens als Babysitter. Ich kann damit umgehen.“
Aber die beiden können nicht mit meiner Mutter umgehen, der so fürchterlich schlecht ist. Da fällt mir ein: Terrie.
Ich frage mich, was mit ihr nicht in Ordnung ist?
Endlich gelingt es mir, die Wohnung zu betreten. Ich wühle mein Handy und mein Adressbuch aus der Handtasche.
„Vergiss es“, sage ich zu meiner Großmutter, während ich Gregs Handynummer wähle. „Er hat mich heute sowieso zum Mittagessen eingeladen. Ich kann ihm absagen, er wird das schon verstehen …“
Niemand geht ran.
Ich rufe in seiner Wohnung an.
Anrufbeantworter. Toll, was für ein
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