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Maenner wie Tiger

Maenner wie Tiger

Titel: Maenner wie Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Catto
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ein Medizinstudent, der erstmals eine Leiche seziert.
    Aber dann mußte ich mich doch an ihn wenden. Die Schmerzen zwangen mich dazu. Ich versuchte, mit meinem verkrampften Arm Luke zu berühren, da geschah etwas Merkwürdiges: Ich konnte ihn nicht mehr gebrauchen.
    »Luke!«
    Er aber stieß nur einen ordinären Fluch aus.
    »Luke! Es ist zu gräßlich!«
    Der dröhnende Stahl, die hustenden Dieselmotoren, die rasselnden Raupen, der zerbröckelnde Betonklotz, der schwankende Turm – es war, als würde einer in aller Öffentlichkeit gefoltert und gehängt. Das kalte, grelle Licht der Scheinwerfer machte das Ganze noch furchtbarer.
    »Ja«, sagte Luke.
    »Wie lange kann das noch dauern?«
    Er machte eine matte Geste, als wollte er eine Fliege verjagen. Der Turm bewegte sich ruckartig, wie eine Kirche, die bombardiert wird. Und meine Schmerzen krochen mir aus der Brust in den Arm. Ich wunderte mich, daß sie oben auf der Plattform noch stehen konnten, sich überhaupt noch halten konnten. Wie ein elektrischer Schlag bebte es immer wieder den Stahl hinauf. Die grausamen Augen der Scheinwerfer ließen die Menschen dort oben nicht mehr los.
    Ich dachte: Es wird ihnen nicht so rasch gelingen, sie von dort oben herunterzuholen. Freilich, der Bohrturm wird am Ende zusammenbrechen wie ein Baum ohne Wurzeln. Die Hauptstützen waren verbogen, der Betonsockel war fast zertrümmert, das Stahlgerüst leicht schief. Armer Charley! sagte ich mir. Er verabscheut Gewalt, er haßt die Höhe. Dem Priester mag’s recht sein, der will noch höher hinauf, will in den Himmel. Und Leo? Nun, dem ist alles egal.
    »Was willst du, daß ich tue?« fragte mich Luke.
    Ich hatte ihn nicht gebeten, etwas zu tun. »Nichts«, sagte ich. Was konnte man schon für sie tun? Nichts!
    »Ist das nicht fürchterlich? Schau hin, was sie erdulden müssen?«
    »Ich seh’s, Luke!«
    »Und weshalb? Sag mir, weshalb?«
    »Du warst ja oben. Du mußt es wissen.«
    »Wegen drei dahergelaufener Weibsbilder!«
    »Luke! Ich bitte dich, hör auf damit!«
    »Ich möchte der erste sein, der mit ihnen ins Bett steigt. Bei Gott, wie gern tat’ ich das!«
    »Du bist grausam.«
    Er sagte zum letztenmal: »Wegen drei dahergelaufener Weibsbilder!« Dann schwieg er und atmete schwer. Mit abgewandtem Gesicht lauschte er dem Schlagen von Metall gegen Metall. Ich bemerkte, daß sie einen Betonsockel schon vernichtet hatten, daß einige Streben zerbrochen waren. Und nun machten sich die Bulldozer an den nächsten Betonsockel, an die nächste Stütze, indes die Männer im Gras hockten, im Streufeld der Scheinwerferstrahlen, schweigend, besessen, voll Zorn.
    Luke erhob sich und ging hinein. Jetzt hat er genug, dachte ich. Aber er kam wieder heraus, ich sah aber nicht hin, ich wollte nicht sehen, was er trug, und so sah ich es erst, als es zu spät war, weil er übers Gras zu den anderen hinüberging. Er trug sein uraltes Lee-Enfield-Gewehr, über das man im Camp immer gelacht hatte und von dem das Gerücht ging, es stamme aus dem amerikanischen Bürgerkrieg, was nicht stimmte, denn er hatte es aus seinem eigenen, privaten Bürgerkrieg mitgebracht, dem Spanischen. Und er hatte es stets geölt und saubergehalten wie ein Museumsstück. Eine Erinnerung an bessere Tage. Nun aber schlug seine größte Stunde. Alle sahen ihn kommen, keiner rührte sich: Sie hatten sich an ihn gewöhnt. Dennoch deckte er sein Gewehr mit dem Schenkel. Er blieb stehen, zielte und zerschoß einen Scheinwerfer. Dann zielte er in die andere Richtung und zerschoß den zweiten.
    Alles war dunkel jetzt, besser gesagt, fast dunkel, man mußte nur die Augen daran gewöhnen, denn es gab von den Baracken her Licht genug, um den einen Bulldozer zu sehen, der rasselnd sich umdrehte, Licht genug, um zu sehen, wie Luke den Fahrer erschoß, der Mann herunterstürzte und die Ramme niederfiel wie ein kraftloser Arm. Es gab Licht genug, um den anderen Bulldozer zu sehen, der, wie Gottes Zorn, mit hocherhobener Ramme heranbrauste, um zu sehen, wie Luke nochmals feuerte, die Kugel vom Metall absprang, in die Nacht schwirrte und wie ihm nun keine Zeit mehr blieb, sich zu wehren. Dumpf fiel die Ramme auf ihn, vernichtete ihn.
    Ich hatte schon mit pumpendem Herzen zu laufen begonnen. Aber alles, was geschah, war wie ein Film aus vielerlei aneinandergeklebten Streifen – so viel geschah, geschah zur selben Zeit. Ich erreichte Luke – eigentlich erreichte ich nur das, was ich von ihm noch sehen konnte, unter dieser Ramme, die ihn

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