Männerlügen - warum Frauen immer die Wahrheit wissen wollen und Männer behaupten, dass es die gar nicht gibt
In der
École nationale supérieure des beaux-arts
fand er keine Aufnahme, weshalb er sich im rigorosen Selbststudium zum Fälscher ausbildete. Dafür trieb er sich, von der Witwe großzügig gefördert, in den wichtigen Museen zwischen Rom, Paris und London herum und kopierte die alten und die nicht so alten Meister. Als die Witwe verstarb und Anselm feststellen musste, dass sie offensichtlich den letzten Sou für ihn geopfert hatte und nichts mehr zu erben war, übernahm bereitwillig die beste Freundin der Witwe seine weitere Förderung, wofür Anselm sich mit dem bedankte, was er schon der Witwe hatte zukommen lassen. So war er am Ende seiner Lehr- und Wanderjahre in doppeltem Betrug ausgebildet: Auf dem Gebiet der Kunst als Fälscher, auf dem Gebiet des Lebens als Heiratsschwindler. Denn bald war auch die Freundin der Witwe verstorben, so dass Anselm sich genötigt sah, eine Nachfolgerin zu finden, was ihm mühelos gelang.
Anselm erzählte mir ausführlich, wie er sich alle erforderlichen Techniken des Fälschens erarbeitete, wie er lernte, durch Trocknen und Rollen der Leinwände Krakelüren herzustellen, und woraus vermeintlich jahrhundertealter Schmutz bestand, wie man an altes Papier und an handgewebte Leinwände kam, welche Farbzusätze zu vermeiden waren, weil es sie erst seit Neuestem gab, welche Schwächen und Stärken in Perspektive,Größenverhältnissen oder Lichtführung die Maler hatten. Wie präpariere ich Holz, um den über die Jahrhunderte verlaufenen Schädlingsbefall zu simulieren? Welche Künstler haben in welcher ihrer Schaffensperiode die Technik des Palimpsests, also der Übermalung eines Bildes mithilfe eines anderen verwendet? Diese Art der Fälschung war besonders beliebt, denn man konnte auf irgendwelchen Flohmärkten wertlose Originalgemälde aus der fraglichen Epoche erstehen und sie dann zu hochwertigen Fakes übermalen.
»Das Fälschen eines Kunstwerks war aber nur der Beginn der Fälscherei. Du malst ja einen van Gogh, du machst ja eine Giacometti-Figur nicht aus Jux und Tollerei, sondern weil du Geld damit verdienen willst. Und dafür musst du deinem Baby eine andere, prominente Vaterschaft verpassen. Jetzt kommen die Experten ins Spiel, die Kunstexperten und ihre ›Expertisen‹! (Er lacht.) Ich habe zwei Arten davon kennengelernt: erstens die Überzeugungstäter, die dir nichts zertifizieren, woran sie nicht selber glauben; zweitens die Wirtstiere, die von dem Schwindel wissen und dein Werk nur unter dem Aspekt begutachten, ob es vor den Ersten, also den Überzeugungstätern, bestehen kann. Die Ersten sind die Vedetten, die großen Namen, die einer Expertise Aura verleihen, die Zweiten eine Art Fälscherpolizei, aber auf deiner Seite. Beide kosten Geld. Die Überzeugungstäter natürlich mehr als die Wirtstiere. Überzeugung hat es ja noch nie umsonst gegeben. Aber die Vedetten bringen wenigstens die unverzichtbare Horde der Kunstjournalisten mit, von denen du dann eine halbe Seite im Feuilleton der ›Times‹ oder der ›Le Monde‹ oder der ›FAZ‹ bekommst.«
»Und wie kann man die Vedetten überzeugen?«
»Wenn du weißt, wie sie prüfen, weißt du, wie du fälschen musst. Materialbestimmung ist das Erste. Da rückt uns dieForschung ganz schön auf den Pelz. Wenn du da leichtsinnig bist und auffliegst, kannst du von da an Töpferkurse in der Toskana geben. Dann ist die Frage, was du fälschst. Malst du ein Bild im Stil von einem der großen Meister und signierst es dann auch mit dessen Namen, musst du erklären können, woher das bis dahin unbekannte Gemälde stammt. Oder du malst ein verschollen oder zerstört geglaubtes Werk. Auch da ist der Provenienznachweis das A und O. Du erfindest phantastische Geschichten von einem Zufallsfund auf dem Trödelmarkt oder von der Nachlassauflösung in einem Landgut. Als ich mit dem Fälschen angefangen hab, hab ich mir überlegt, wo das Provenienzproblem am geringsten ist. Deshalb hab ich russische Konstruktivisten, Malewitsch, Tatlin und wie sie alle hießen, gefälscht. Unterdrückte Kunst in einer Diktatur macht immer plötzlich auftauchende, außer Landes geschmuggelte Werke plausibel. Also so gut wie kein Provenienzproblem. Dumm war nur, dass es damals kaum finanzkräftige Abnehmer für russische Konstruktivisten gab. Das war grad so, als würdest du heute Präraffaeliten fälschen. Damals waren die alten Holländer Marktlieblinge. Doch dann begann das MoMA in New York die Konstruktivisten zu sammeln und die Preise
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