Männerlügen - warum Frauen immer die Wahrheit wissen wollen und Männer behaupten, dass es die gar nicht gibt
Interviews zu überreden, war nicht schwierig. Ich hatte den Eindruck, als wartete er sogar auf meine Bitte. Saskia stimmte unter der Bedingung zu, dass ich einzig Anselm »verhören« sollte. Was es über sie zu berichten gäbe, könne er ja weitergeben. Beide waren in einem Alter, in dem das Bild von den verwehten Spuren im Sand als Lebensresümee Konturen anzunehmen begann, zumal beide über die gebräuchlichste Art der Unsterblichkeit, über Nachkommen, nicht verfügten.
»Wann hast du Saskia gestanden, wer du wirklich bist?«
»Am selben Abend noch. Notgedrungen. Ein entlarvter Heiratsschwindler ist ja kein Heiratsschwindler mehr.«
Ich erinnere mich noch, wie Saskia an dieser Stelle das Abhören des Bandes unterbrach.
»Willst du nicht sagen, was dich wirklich entlarvt hat, Antal?«
»Na, der stupide Lollipop.«
Saskia lächelte ihn an, schüttelte den Kopf und wandte sich zu mir.
»Der Lollipop hat ihn als Heiratsschwindler entlarvt, das
Tetou
als schlechten Heiratsschwindler, als herrlich schlechten.«
»Das Restaurant
Le Tetou
?«, fragte ich. Ich hatte vom
Tetou
gehört, war aber noch nie dort gewesen.
Saskia nickte. »In Golfe Juan. Er hatte mich nach dem Casino dorthin eingeladen. Jeder weiß, dass es im
Tetou
die beste Bouillabaisse östlich von Marseille gibt, aber jeder weiß auch, dass man dort nicht mit Karte, sondern nur bar bezahlen kann. Ich musste Antal an diesem Abend auslösen, weil er den Ahnungs- und Bargeldlosen spielte. Was ist das für ein Heiratsschwindler, der gleich am ersten Abend Kasse macht?« Anselm antwortete nicht. Es war der erste und einzige Moment, in dem ich so etwas wie eine negative Spannung zwischen beiden wahrnehmen konnte.
Ansonsten sprudelte es nur so heraus aus ihm. Anselm schien sein Fälscherleben zu lieben. Er hatte sich da auch eine eigene Theorie zurechtgelegt.
»Der sogenannte seriöse Kunstmarkt ist doch total degeneriert. Man spekuliert auf ihm wie in Chicago mit Schweinehälften oder Sojabohnen. Ein Picasso, der für Millionen ersteigert wird, um dann im Tresor eines japanischen Multimillionärs zu verschwinden, der ist doch zur Waffe geschändet, mit der manein Verbrechen an den Kunstliebhabern begeht! Und nicht zuletzt am Künstler selbst. Der Fälscher, der den Picasso durch Fälschung wieder sichtbar macht, restauriert dessen verfügbare Existenz für den Betrachter – und zwar unter Umgehung des spekulativen Mehrwertes. Wir Fälscher retten die Wahrheit der Kunst, indem wir sie wieder auf die Beine ihrer Sinnlichkeit stellen. Kunst ist nämlich ihrem Wesen nach eine Hure: Sie muss mit möglichst vielen Betrachtern kopulieren. Sie ist dazu da, das Leben zu bereichern, nicht das Portemonnaie.«
Als Saskia das auf dem alten Uher abhörte, ballte sie ihre linke Hand zur Faust, stieß sie Anselm bewundernd in die Schulter und küsste ihn unerwartet schamlos.
»Aber leidet der Fälscher nicht an mangelnder Anerkennung?«
»Andersrum. Die meisten werden erst durch mangelnde Anerkennung zu Fälschern. Ich übrigens nicht. Ich hab von Anfang an gewusst, ich bin Könner, aber kein Genie. Ich kann alles Fremde, aber nix Eigenes.«
»›Alles‹ kann der Künstler doch auch. Bis auf eines: sich selber fälschen.«
»Doch, doch, sogar das kann er. Dalí hat’s zigfach gemacht und zugegeben. Von den etwa 3000 Werken, die Dalí geschaffen hat, sagen die Kunsthändler, befinden sich allein über 5000 in den USA. Der hat Museen und Sammler zur Verzweiflung gebracht, weil keiner mehr wusste, ist das echt oder gefälscht und ist ein von Dalí gefälschter Dalí eigentlich eine Fälschung? Der hat den Kunstmarkt schon ad absurdum geführt, noch bevor der das selbst tat. Und er hat unseren Berufsstand geadelt mit dem Spruch: ›Was ist eine Signatur wert, die nicht gefälscht wird?‹ Original oder Fälschung – egal. Die Wahrheit eines Kunstwerks liegt in dem, was es beim Betrachter auslöst. Alles andere sind Investment-Kriterien.«
Waren diese rebellischen Ansichten seiner Herkunft geschuldet? Er hatte mir einen knappen Lebenslauf auf Band diktiert. Danach war er Anfang der 40er-Jahre in Budapest geboren, beim Ungarn-Aufstand 1952 als Junge zusammen mit seiner Mutter – der Vater kam bei den Kämpfen um – nach Österreich geflohen, von dort mit etwa 20 Jahren abgehauen. In den folgenden Jahren schlug er sich quer durch Europa als Straßenmaler durch, blieb in Lyon bei einer vermögenden Kriegerwitwe hängen, die sich seiner in jeder Hinsicht annahm.
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