Männerstation
er wie ein gelähmter und geprügelter Hund herum, starrte vor sich hin und schüttelte immer wieder den Kopf. Er begriff es einfach nicht, und es gab auch niemanden, der ihm das Rätsel erklärte. Er wußte nicht, warum sich Margot töten wollte, er wußte nicht, warum sie ihn nicht sehen konnte, er wußte nicht, wie es überhaupt weitergehen sollte. Immer wieder sah er auf seinen Beinstumpf und begriff einfach nicht, daß mit der Wegnahme eines Beines ein bisher glückliches Zusammenleben ebenfalls amputiert sein sollte.
Nach acht Tagen verlangte Margot Staffner ihren Mann zu sprechen. Wie ein verängstigtes Kind schlich er in das Zimmer und setzte sich zaghaft an das Bett. Er hielt sich an seinen Krücken fest und sah seine Frau flehend an, als habe er die Schuld ihrer Lage zu tragen und abzugelten.
Was über eine Stunde lang in dem kleinen Zimmer gesprochen wurde, weiß niemand. Nach dieser Stunde stapfte Hieronymus Staffner zu Dr. Bernfeld und sagte:
»Ich möchte gern den Herrn Professor sprechen. Wir möchten entlassen werden, meine Frau und ich …«
Und man entließ sie. Ein Freund der Familie holte sie mit dem Auto vom Krankenhaus ab. Als sie wegfuhren, sah Margot Staffner noch einmal zurück … zu dem Fenster, hinter dem alles begonnen hatte. Aber das Fenster war geschlossen, die Gardinen zugezogen. Es konnte dort niemand mehr stehen und winken; Oberarzt Dr. Pflüger hatte sich beurlauben lassen, um sich, wie es hieß, auf seine neue Dozentenstelle in Hamburg vorzubereiten. Ein neuer Oberarzt trat am nächsten Ersten die vakante Stelle an. Bis dahin stand das Oberarztzimmer leer.
Man hat von den Staffners nie wieder etwas gehört … sie waren in der grauen Masse untergetaucht, in die Anonymität der Hunderttausenden, aus der sie kurz herausgetreten waren, um ein Krümelchen Menschenschicksal zu zeigen.
Aber sonst war noch alles wie früher: Schwester Angela führte das harte Regiment über die Männerstation III, unterstützt von Schwester Inge, die von Wechsel zu Wechsel immer der Liebling der Station blieb. Im OP verwaltete Schwester Innozenzia weiterhin die Instrumente, und der junge Dr. Bernfeld war Oberarzt geworden und betreute innerhalb der Männerstation eine neue Abteilung, die Unfallstation. Es war eine Einrichtung, die Prof. Morus noch durchgedrückt hatte: die Trennung der normalen chirurgischen Fälle von den Unfallverletzten.
Das alles war in zwölf Wochen geschehen, nach außen hin gar nichts, denn alles lief weiter wie bisher, die Bettenzahl reichte nicht, und die Verwaltung rügte weiterhin die Ärzte und Schwestern wegen des großen Medikamentenverbrauchs. Auf Männerstation III entwickelten sich neue Schicksale, es wurde weiterhin geheilt und gestorben, gehaßt und geliebt, betrogen und belogen … und doch war es anders. Die Patienten spürten es nicht, sie waren neu, durchliefen den Heilungsprozeß und verließen das Haus wieder nach drei oder vier oder sechs Wochen. Nur die alten Mitarbeiter spürten es, die Ärzte und Schwestern und Pfleger, und es merkten die Patienten, die früher einmal in diesem Krankenhaus gelegen hatten und nun mit einer anderen Krankheit wiederkamen. Sie sprachen von ›damals‹, und wenn sie dieses Wort aussprachen, glänzten ihre Augen voll liebevoller Erinnerung.
Es gab keinen Prof. Morus mehr. Und auch Paul Beißelmann war nicht mehr da.
Ein neuer Chefarzt war gewählt worden. Merkwürdig schnell und merkwürdig still. Er kam aus einem Provinzkrankenhaus, ehrgeizig und darauf bedacht, bei den oberen Aufsichtsstellen nicht anzuecken. Sein erstes Wort war:
»Wir werden beweisen, daß es auch anders geht, meine Damen und Herren! Natürlich haben wir zu wenig Betten, das wissen wir alle, das weiß auch der Staat, das braucht man nicht immer hinauszuposaunen und damit das eigene Nest zu beschmutzen. Außerdem macht es die Patienten kopfscheu! Man muß eben improvisieren können; das ist eine Kunst, die nicht jeder beherrscht, aber wir werden es hier lernen. Wir rücken etwas zusammen, es geht alles, wenn man nur will und nicht bloß meckert, sondern auch anpackt! Wozu zum Beispiel haben alle Zimmer in der Mitte einen freien Raum mit Tisch und Stühlen? Die werden wir als erstes hinausnehmen und dort noch drei Betten aufstellen! Wer laufen und sitzen kann, soll sich in den Gemeinschaftsraum begeben. Ein Krankenzimmer ist keine Skatbude, sondern eben ein Krankenzimmer! In diesem Sinne wollen wir also alle gemeinsam anpacken!«
So wurden aus den
Weitere Kostenlose Bücher