Männerstation
im Krankenhaus geschehen sein, das den Krankenpfleger seelisch zurückwarf in die Zeit vor elf Jahren. Damals hatte er seine Frau und deren Liebhaber erwürgt. Weil er sich elend fühlte, hatte er den Nachtdienst als Krankenpfleger abgebrochen und eine Schwester gebeten, ihn zu vertreten. Zu Hause kam er leise ins Schlafzimmer, zog sich lautlos aus, um seine Frau nicht aus dem Schlaf zu reißen, und wollte in sein Bett schlüpfen. Aber dort lag bereits ein anderer Mann, der aufschreckte, als Beißelmann ihn berührte.
Was dann geschah, waren wenige Sekunden, die in Beißelmanns Erinnerung wie sich drehende Nebel zurückblieben. Als er wieder klar denken konnte, lagen seine Frau und der Stationsarzt Dr. Libbich neben den Betten auf dem Boden, um den Hals die roten Würgemale und die krallenhaften Eindrücke von Beißelmanns Fingernägeln. Wie ein Schlafwandler ließ er sich abführen; im Prozeß leugnete er nichts, ja, er zerstörte sogar den langen Vortrag des psychiatrischen Sachverständigen, der von einer ganz klaren Affekthandlung sprach. »Nein!« hatte er geschrien. »Nein! Ich weiß, was ich getan habe! Und ich würde es wieder tun … immer wieder. Ich habe sie so geliebt, und sie hat … hat …« Dann brach er weinend zusammen.
Das Urteil lautete auf fünfzehn Jahre Gefängnis. Als es verkündet wurde, war es, als freue er sich darüber, als sei er glücklich, dem Leben damit entronnen zu sein und abgeschlossen nur sich selbst zu leben und der Erinnerung, an deren Ende zwei zudrückende Hände waren.
Prof. Dr. Morus klopfte mit der Faust auf den Tisch.
»Beißelmann – Sie wollen also nicht reden?«
»Nein!«
»Wollen Sie Urlaub?«
»Davon wird es nicht anders, Herr Professor.«
»Ist etwas mit der Station III? Wollen Sie zur internen Abteilung?«
»Ich will aus dem Haus heraus, Herr Professor.«
»Das ist das einzige, was ich nicht kann!« Morus winkte mit beiden Händen ab, als Beißelmann etwas sagen wollte. »Seien Sie still, Mensch! Machen Sie Ihre Arbeit so korrekt wie bisher, dann ist alles gut!« Prof. Morus senkte den Kopf und musterte den Krankenpfleger mit plötzlicher Erkenntnis. »Sagen Sie mal: Steckt eine Frau dahinter? Haben Sie sich verliebt?«
»Nein, Herr Professor.« Beißelmann atmete schnaufend.
»Eine kleine Schwester? Etwa die Inge Parth? Beißelmann, die will sich bald verloben!«
»Das weiß ich.«
»Und deshalb, nicht wahr …«
»Nein! Nein!« Es war fast wie ein Aufschrei. »Ich verliebe mich nicht mehr, das wissen Sie, Herr Professor …«
Prof. Morus musterte Beißelmann weiter. Der laute Protest überzeugte ihn nicht völlig. Ich werde die Schwester Oberin fragen, dachte er. Sie weiß so ziemlich alles, was im Hause vorgeht und was andere nicht sehen. Und ist es so, daß Beißelmann sich verliebt hat, wird man einen Weg finden, ihn von der Sinnlosigkeit zu überzeugen.
»Gehen Sie jetzt«, sagte Prof. Morus in mildem Ton. »In einer Stunde ist Schwestern-Fortbildungsstunde. Ich brauche die Präparate von dem Nierentumor und den Knochenmann.«
Er setzte sich, blätterte in den Krankengeschichten und las den Unfallbericht durch, den Dr. Bernfeld abgegeben hatte. Beißelmann stand noch eine Minute hilflos herum. Ein paarmal öffnete er den Mund wie ein luftschnappender Fisch, aber er gab den Worten keinen Laut, er sprach sie stumm, nach innen, begleitet von einem Zucken seines langen, zerfurchten, gelbweißen Gesichtes.
Dann ging er, unhörbar, einer Riesenkatze gleich. Prof. Morus sah auf seinen gebeugten Rücken, als er die Tür öffnete und das Knirschen der Türangel das einzige Geräusch war. Erst als sie zuklappte, lehnte sich Morus zurück und starrte an die Decke.
Vor einem Jahr habe ich ihn aus dem Gefängnis geholt, dachte er.
Bei einer Operation lernten sie sich kennen: der Chirurg und Chefarzt – den man zu einer Magenoperation an einem Häftling rief, der zehn Nägel verschluckt hatte –, und der Zuchthaus-Revierpfleger Paul Beißelmann, der seine untreue Frau und deren Liebhaber erwürgt hatte.
Prof. Morus stand auf und trat an das Fenster. Im Krankenhausgarten, auf den weißen Bänken und in Rollstühlen neben den Blumenrabatten sonnten sich die Genesenden. Einige Schwestern saßen zusammen wie eine Schar weißer Hühner und lasen in dicken Büchern. Sie präparierten sich für die gleich stattfindende Schulungsstunde.
Er hat seine Frau umgebracht, dachte Morus und kaute an der Unterlippe. Ich hatte diese Stärke nicht … ich habe sie
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