Männerstation
er, und wie sie so nebeneinander standen, hätte es eine Demonstration sein können: Der Mensch mit und der Mensch ohne Fleisch. Oder: Das ist alles, was bleibt …
*
An diesem Montag erschien auch Evelyn Frerich wieder im Krankenhaus. Seit Sonntag fühlte sie sich krank und hatte das ihrem Hausarzt gesagt, den sie noch vor Beginn der Sprechstunde konsultierte.
»Ich habe Stechen in der Brust«, sagte sie. »Ganz gemeine Stiche! Wenn ich atme … sehen Sie, so … dann sticht es. Überall! Bis zum Rücken und hinunter zum Bauch … Ich habe solche Angst, Herr Doktor, solch wahnsinnige Angst! Kann das Krebs sein? Ich habe gelesen, daß solche Stiche in der Brust … gerade in der Brust, Herr Doktor, bei einer Frau … und man soll ja immer früh erkennen und sich gründlich untersuchen lassen … Vielleicht wäre es gut, wenn ich einmal von oben bis unten geröntgt würde, nur zur Beruhigung … ich habe ja solche Angst … Und, das habe ich auch gelesen, gerade die psychologische Seite ist sehr wichtig …«
Evelyn Frerich bekam eine Überweisung in das Städtische Krankenhaus. Röntgenabteilung. Der Hausarzt bat um eine gründliche Untersuchung aus prophylaktischen Erwägungen.
Die Stationsschwester der Röntgenabteilung las die Überweisung, studierte eine Tabelle und sagte, daß es heute ginge.
»Es muß gehen! Meine Schmerzen …«, rief Evelyn Frerich. Sie war unruhig, sah oft zur Tür und wartete auf den Augenblick, in dem Dr. Bawuno Sambaresi ins Zimmer treten mußte. Aber niemand kam, es war still, als sei dieser Teil des Krankenhauses in Watte eingebettet.
Nach einer halben Stunde Wartens wurde Evelyn in eine kleine, schmale Kabine geführt. Ein Spiegel hing an der Wand, ein gepolsterter Hocker stand in der Ecke, in die sich lautlos schließende Tür waren drei Kleiderhaken geschraubt. Von der Decke schien eine trübe Lampe auf den blauen Kunststoffboden.
»Ziehen Sie sich bitte schon aus«, sagte die mürrische Schwester zu Evelyn Frerich. »Sie werden gleich hereingeholt.«
»Ausziehen? Was?« fragte Evelyn heiser. Eine plötzliche wilde Erregung schnürte ihr die Luft ab.
»Machen Sie erst den Oberkörper frei!«
»Den Oberkörper. Ja …«
Die Schwester sah sie kurz an, ein wenig fragend, und verließ dann die Kabine. Unschlüssig stand Evelyn Frerich in dem engen Zimmer und sah in den Spiegel. Sie sah ihre großen blauen Augen und die Starrheit, die in ihnen lag. Sie sah ihre vollen, zitternden Lippen und die Flügel der schmalen Nase, die sich wie witternd blähten.
Langsam, mit bebenden, heißen Fingern, begann sie, sich auszuziehen. Die Bluse, das Spitzenhemd, den Büstenhalter … sie betrachtete ihren nackten Oberkörper im Spiegel, hob sich auf die Zehenspitzen und reckte sich. Es war ein schönes Bild, und jedesmal, wenn sie es im Spiegel sah – und das war jeden Abend und jeden Morgen –, war sie fasziniert von dem Geschenk, das die Natur ihr gegeben hatte.
Sie seufzte, legte die Stirn an den Spiegel und küßte ihr Spiegelbild. Dann sank sie auf den kleinen, gepolsterten Hocker und wartete.
Hinter der gegenüberliegenden Tür hörte sie Stimmen, Geräusche, Klappern, Schritte, Knarren und ein dumpfes Gleiten von Geräten. Irgendwo summte es, kaum vernehmbar. Sie zog die Schultern nach vorn und preßte das Kinn an. Es war warm in dem kleinen Raum, eine dumpfe Schwüle, aber es war ihr, als fröre sie.
Dieses Warten, dachte sie. O dieses Warten. Man könnte schreien und sich beißen … irgendwohin … nur Schmerz empfinden, Schmerz, der das andere überdeckt und tötet …
Wieder Klirren von Instrumenten, Schritte, undeutliche Worte. Nebenan klapperte eine Tür, ein Körper stieß gegen die dünne Trennwand, ein Räuspern und Schnaufen, als zöge sich ein Asthmatiker mühevoll an.
Jetzt, dachte Evelyn Frerich, jetzt gleich. Sie blieb auf dem Hocker sitzen, wie angeklebt, mit weiten, flimmernden Augen. Ihre Hände lagen über ihren Brüsten, als schäme sie sich ihrer Blöße.
Mit einem schmatzenden Laut öffnete sich die Tür. Eine Ordensschwester sah in die Kabine. »Bitte!«
Evelyn Frerich erhob sich. Ihre Arme sanken herab. Die Schwester ging vor ihr her zu einem langen und breiten Tisch, über dem an einer blinkenden Säule der Röntgenapparat hing. Im Nebenzimmer, hinter einer in einer Bleiwand eingelassenen dicken Scheibe, sah sie eine zweite Schwester, die an einem Schalttisch saß.
»Legen Sie sich bitte auf den Tisch«, sagte die Schwester. Sie stützte Evelyn
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