Männerstation
starrte es an. Sein Gesicht verzerrte sich schrecklich, der Mund klaffte auseinander. Er beugte sich vor, dorthin, wo der Kopf der Frau des beinamputierten Patienten Hieronymus Staffner gelegen hatte … und dann hieb er mit der Faust auf das Polster, immer und immer wieder, erst mit der einen Faust, dann mit der anderen, dann mit beiden; er trommelte auf die Polster und keuchte dabei und stöhnte und stieß undeutliche Laute aus. Schließlich fiel er auf die Knie und drückte das Gesicht weinend an das Leder. Sein Körper zuckte wie im Krampf und hatte jegliche Form verloren.
So blieb er zusammengesunken vor dem Sofa knien, bis auf Dr. Pflügers Schreibtisch das Telefon läutete und Dr. Bernfeld fragte, wo das Formular blieb.
*
Am Montagmorgen, vor der Chefvisite, trat Beißelmann in das große Zimmer von Prof. Morus. Er blieb auf halbem Wege zum Schreibtisch stehen, legte die Hände an die Seiten, als wolle er militärisch strammstehen, und hatte den Kopf entgegen seiner üblichen Haltung hoch erhoben. Prof. Morus sah ihn interessiert und verblüfft an.
»Beißelmann, Sie stehen da, als hielten Sie Ehrenwache! Was ist?«
»Ich möchte gehen, Herr Professor«, sagte Beißelmann mit klarer Stimme. Auch dieser Klang war neu; Prof. Morus lehnte sich über die Schreibtischplatte und schüttelte den Kopf.
»Was heißt gehen? Wollen Sie Urlaub?«
»Nein. Ich will fort.«
»Wieso fort?«
»Für immer.«
»Sind Sie verrückt, Beißelmann?« Prof. Morus sprang hinter seinem Tisch auf. »Was soll der Unsinn?«
»Ich will fort von hier«, sagte Beißelmann mit klarer Stimme und hocherhobenem Haupt. »Ich muß fort, Herr Professor … Ich … ich möchte nicht wieder einen Mord begehen.«
Prof. Dr. Morus starrte Beißelmann mit einer Mischung von Unverständnis und Entsetzen an. Er kam um den Schreibtisch herum und umkreiste Beißelmann.
»Was ist denn los?« fragte er dabei. »Menschenskind, was ist denn in Sie gefahren?! Ich habe geglaubt …«
»Ich möchte nicht darüber sprechen, Herr Professor. Ich möchte nur entlassen werden … weg von hier …«
»Was ist geschehen?« Morus blieb vor dem Krankenpfleger stehen. Seine befehlsgewohnte Stimme war hart und fordernd. »Los! Reden Sie!«
»Ich möchte nicht.«
»Dann machen Sie, daß Sie auf Ihre Station kommen! Ich habe keine Zeit, mir hysterische Ausbrüche anzuhören.«
»Und wenn … wenn …« Über Beißelmanns Gesicht zog eine feine Schweißschicht. »Es wird einen Mord geben, Herr Professor. Ich weiß es … so sicher, wie ich damals …« Er schluckte und senkte den Kopf. Seine straffe Haltung verlor sich, der Körper wurde kleiner, als schrumpften die Knochen zusammen. »Bitte … lassen Sie mich gehen …«
»Sie wissen, daß ich das nicht kann.«
»Wenn Sie mit den zuständigen Stellen deswegen sprechen …«
»Was soll ich ihnen denn sagen? Beißelmann, mein Krankenpfleger, ist hysterisch geworden?! Er phantasiert! Mensch – ich muß doch konkrete Dinge sagen! Irgend etwas ist doch geschehen, daß Sie so durchdrehen?!« Prof. Morus sah das verzerrte, schweißbedeckte, bleiche Gesicht Beißelmanns. Das Gefühl, wirklich einer kommenden Tragödie gegenüberzustehen, wurde von Minute zu Minute stärker in ihm. Er faßte Beißelmann am Arm und zog ihn zu der Sesselgruppe am Fenster hin. »Setzen Sie sich. Erzählen Sie! Vor mir haben Sie es doch nicht nötig, eine Maske zu tragen. Wir kennen uns doch zu gut, nicht wahr?«
Beißelmann blieb stehen. Er schüttelte den Kopf. Wohin ich komme, bringe ich Unglück. Dr. Pflüger wird entlassen und angeklagt werden, die Frau wird in den Strudel hineingerissen werden … und es wird noch ärger werden, wenn ich im Krankenhaus bleibe und das tun muß, wozu ich getrieben werde. Warum läßt man mich nicht gehen?
»Versetzen Sie mich in ein anderes Krankenhaus. Wir haben doch drei Stück in der Stadt.«
»Nein!« sagte Prof. Morus hart.
»Warum nicht?«
»Weil ich für Sie verantwortlich bin. Ich allein! Ich bin Ihr sogenannter ›Bewährungshelfer‹!«
»Und wenn ich wieder einen umbringe … umbringen muß?« sagte Beißelmann dumpf.
»Dann bekommen Sie wieder lebenslänglich, aber diesmal ohne Begnadigung nach zehn Jahren!« Prof. Dr. Morus ging zu seinem Schreibtisch zurück und wühlte nervös in einem Stapel Röntgenplatten und Krankengeschichten. Er wußte nicht, was er tun sollte. Aus Beißelmann war, wenn er schweigen wollte, nichts herauszulocken. Das wußte er. Aber irgend etwas mußte
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