Märchen, Der Falke unter dem Hut ab 9 Jahre
Sonne, mein Schuhmacher.
Am nächsten Morgen befahl der Fürst, daß an diesem Tage niemand arbeiten noch Handel treiben dürfe, weil Feiertag sei. Das Volk murrte über die Laune seines Herrschers, doch da war nichts zu machen. Auch der Laden des Schuhmachers wurde geschlossen.
Am Abend betrat der verkleidete Fürst wiederum das Haus des Schuhmachers und mußte sehen, daß er sich genauso vergnügte wie am Tage vorher.
„A-ah, sei mir gegrüßt, setz dich zu Tisch, mein Freund!“ so empfing ihn der Schuhmacher.
„Wie kommt es, daß du heute ebenso vergnügt bist?“ fragte der Fürst verwundert. „Hat nicht unser Herrscher alle Läden schließen lassen? Wie ist es da mit deinem Verdienst gewesen?“
„Ach, verflucht soll er sein, unser Fürst“, erwiderte der Schuhmacher. „Ja, auch mir hat man den Laden geschlossen, und ich konnte nicht arbeiten. Was sollte ich tun? Ich ging auf die Straße hinaus, brachte dem einen Wasser, dem anderen hackte ich Holz, einem dritten verrichtete ich einen Botengang. So habe ich doch noch etwas Geld heimgebracht, und nun verzehren wir es.“
Als der Fürst durch die dunklen Gassen seiner Stadt ging, dachte er: Will doch sehen, wie lange er’s aushält.
Am nächsten Morgen befahl er, den Schuhmacher in den Palast zu bringen. Er ließ ihm ein Schwert umhängen und stellte ihn an der Tür als Posten auf. Den ganzen Tag mußte der arme Schuhmacher dort stehenbleiben. Als er endlich am späten Abend nach Hause kam, setzte er sich hin und ließ den Kopf hängen, weil er den Tag über nichts verdient hatte. Seine Frau tröstete ihn: „Sei nicht traurig, mein Lieber, andere haben ganze Wochen lang nichts zu essen. Ich habe gehört, daß man zwanzig, ja vierzig Tage hungern kann, und da sollten wir es nicht einen Tag aushalten?“
Um sich zu zerstreuen, nahm der Schuhmacher ein Stück Holz vom Herd und begann daran herumzuschnitzen. Er schnitzte und schnitzte und sah, daß der Stock auf der einen Seite messerscharf geworden war. Kaum hatte er es wahrgenommen, schleppte er einen großen Ast aus dem Hof herein und schnitzte so lange, bis er die Größe und Schärfe eines Wächterschwertes hatte. Darauf zog er das stählerne Schwert aus der Scheide, steckte das hölzerne hinein und lief eiligst zu einem bekannten Händler, um das Schwert aus Stahl zu verkaufen. Für den Erlös besorgte er zu essen und zu trinken, brachte alles nach Hause, und dann setzten sich alle froh und wohlgemut zu Tisch.
Nicht lange darauf betrat der Fürst abermals das Haus des Schuhmachers. Mit der gleichen Gastfreundschaft wurde er eingeladen, am Tisch Platz zu nehmen und reichlich zuzulangen, denn es war diesmal genügend vorhanden.
Dann erzählte der Schuhmacher: „Heute hat mich der Dummkopf, unser Fürst, als Wachposten aufgestellt. Wie hätte ich da etwas verdienen sollen? Ich kam nach Hause, saß hungrig da und ließ den Kopf hängen, weil wir nichts zu essen hatten. Da dachte ich bei mir, daß mich der Fürst doch nicht im Ernst zwingen würde, jemanden umzubringen! Ich nahm das Schwert, verkaufte es, in die Scheide aber steckte ich ein Stück Holz. Woher sollte der Fürst erfahren, was sich in der Hülle befindet? Reich mir das Holzstück, Frau“, sagte der Schuhmacher. „Wir wollen unserm Freund zeigen, was ich für ein Schwert habe.“
Am nächsten Morgen hängte sich der Schuhmacher das hölzerne Schwert um und bezog seinen Posten vor der Tür des Fürsten. Der aber lachte im stillen und dachte: Na, warte, dir will ich es schon zeigen. Wollen doch sehen, wer von uns beiden der Dummkopf ist!
Er ließ einen Diener kommen und tat so, als hätte ihn dieser erzürnt, schlug ihn und schrie: „Holt einen Wächter herein, er soll diesem Nichtstuer, diesem Verräter und Lügner auf der Stelle den Kopf abschlagen!“
Der Schuhmacher stand zitternd vor dem Fürsten. „Hoher gnädiger Herr, vergebt ihm. Er ist ein Tölpel, hat sich wohl nur versehen“, flehte er.
„Nichts da, ich verzeihe ihm nicht. Er hat sich so vergangen, daß er den Tod verdient. Schlag ihm sofort den Kopf ab; wenn nicht, laß ich dir unverzüglich deinen abschlagen.“
Was blieb dem Schuhmacher übrig? Er stand auf, hob die Augen gen Himmel und sprach: „Lieber Gott, wenn dieser Unglückliche im Recht ist und sich vor dem Fürsten nichts hat zuschulden kommen lassen, so möge dieses Schwert zu Holz werden!“
Sprach’s und zog das hölzerne Schwert aus der Scheide.
Der Fürst war aufs höchste von der Findigkeit
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