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Maerchen Fuer Kinder

Titel: Maerchen Fuer Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Christian Andersen
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Schatten wußte sich immer auf dem Herrenplatz zu halten, und das fiel dem gelehrten Manne nicht weiter auf; er war sehr gutmütig und sehr sanft und freundlich, und da sagte er eines Tages zum Schatten: »Da wir nun so Reisekameraden geworden, wie wir jetzt sind, und wir zugleich von der Kindheit an zusammen aufgewachsen sind, wollen wir da nicht Brüderschaft trinken? Das ist doch weit traulicher!«
    »Sie sagen da etwas,« sagte der Schatten, welcher ja nun der eigentliche Herr war, »das ist recht gerade heraus und wohlgemeint gesprochen. Sie, als gelehrter Mann, wissen sicher, wie sonderbar die Natur ist. Manche Menschen können es nicht ertragen, graues Papier anzufassen, dann wird ihnen unwohl; andern geht es durch alle Glieder, wenn man mit einem Nagel gegen eine Glasscheibe reibt; ich habe ein eben solches Gefühl, wenn ich höre, daß Sie Du zu mir sagen, ich fühle mich gleichsam zu Boden gedrückt, wie in meiner ersten Stellung bei Ihnen. Sie sehen, es ist ein Gefühl, es ist nicht Stolz; ich kann Sie nicht Du zu mir sagen lassen, aber ich werde gern Du zu Ihnen sagen, dann ist die Hälfte Ihres Wunsches erfüllt!«
    Und dann sagte der Schatten Du zu seinem früheren Herrn.
    »Das ist doch wahrhaft toll,« dachte er, »daß ich Sie sagen muß, und er Du sagt!« aber nun mußte er aushalten.
    Dann kamen sie nach einem Bade, wo viele Fremde waren, und unter diesen eine schöne Königstochter, welche die Krankheit hatte, daß sie allzu scharf sah, und das war höchst ängstlich.
    Sie merkte sogleich, daß der, welcher angekommen war, eine ganz andere Person sei, als alle die andern. »Er ist hier, um seinen Bart zum Wachsen zu bringen, sagte man, aber ich erkenne die rechte Ursache, er kann keinen Schatten werfen.«
    Sie war neugierig geworden, und daher ließ sie sich sogleich auf der Promenade mit dem fremden Herrn in ein Gespräch ein. Als Königstochter brauchte sie nicht viel Umstände zu machen, und deshalb sagte sie: »Ihre Krankheit ist, daß Sie keinen Schatten werfen können.«
    »Ihre königliche Hoheit müssen sich bedeutend in der Besserung befinden!« sagte der Schatten. »Ich weiß, daß Ihr Übel darin besteht, daß Sie allzu scharf sehen, das hat sich aber verloren, Sie sind geheilt. Ich habe gerade einen ganz ungewöhnlichen Schatten! Sehen Sie nicht die Person, welche immer mit mir geht? Andere Menschen haben einen gewöhnlichen Schatten, ich liebe aber das Gewöhnliche nicht. Man giebt oft seinen Dienern feineres Tuch, als man selbst trägt, und so habe ich meinen Schatten zum Menschen aufputzen lassen! Ja, Sie sehen, daß ich ihm sogar einen Schatten gegeben habe. Das ist etwas Kostbares, aber ich liebe es, etwas für mich allein zu haben.«
    »Was?« dachte die Prinzessin, »sollte ich mich wirklich erholt haben! Dieses Bad ist das beste von allen! Das Wasser hat in unserer Zeit ganz erstaunliche Kräfte. Aber ich reise nicht ab, denn jetzt wird es hier unterhaltend; der Fremde gefällt mir. Wenn nur sein Bart nicht wächst, denn sonst reist er ab!«
    Am Abend in dem großen Ballsaal tanzten die Königstochter und der Schatten. Sie war leicht, aber er war noch leichter, einen solchen Tänzer hatte sie noch nie gehabt. Sie sagte ihm, aus welchem Lande sie sei, und er kannte das Land, er war dort gewesen, aber damals war sie nicht zu Hause gewesen, er hatte in die Fenster geschaut, sowohl oben wie unten, er hatte sowohl das eine wie das andere erblickt, und daher konnte er der Königstochter antworten und Andeutungen machen, daß sie ganz erstaunt wurde. Er mußte der weiseste Mann auf der ganzen Erde sein! Sie bekam große Achtung vor seinem Wissen, und als sie dann wieder tanzten, da wurde sie verliebt, und das konnte der Schatten recht gut merken, denn sie hätte ihn fast durch und durch gesehen. Dann tanzten sie noch einmal, und da war sie nahe daran, es zu sagen, aber sie war besonnen, sie dachte an ihr Land und an ihr Reich, und an die vielen Menschen, die sie zu regieren hatte. »Ein weiser Mann ist er,« sagte sie zu sich selbst, »das ist gut, und herrlich tanzt er, das ist auch gut. Ob er aber gründliche Kenntnisse hat, das muß untersucht werden.« Nun fing sie an, ihn nach etwas von dem Allerschwierigsten zu fragen, sie hätte es selbst nicht beantworten können, und der Schatten machte ein ganz sonderbares Gesicht.
    »Das können Sie nicht beantworten!« sagte die Königstochter.
    »Es gehört zu meiner Schulgelehrsamkeit,« sagte der Schatten, »ich glaube sogar, mein

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