Maerchen Fuer Kinder
Da muß man gut fliegen, das ist von großer Wichtigkeit; denn wer dann nicht ordentlich fliegen kann, wird vom Obersten mit dem Schnabel totgestochen; deshalb gebt wohl acht, etwas zu lernen, wenn das Üben anfängt!«
»So werden wir ja doch gespießt, wie die Knaben sagten, und hört nur, jetzt singen sie es wieder!«
»Hört auf mich und nicht auf sie,« sagte die Storchmutter. »Nach der großen Herbstübung fliegen wir in die warmen Länder, weit, weit von hier, über Berge und Wälder. Nach Ägypten fliegen wir, wo es dreieckige Steinhäuser giebt, die in eine Spitze auslaufen, und bis über die Wolken ragen, sie werden Pyramiden genannt, und sind älter, als ein Storch sich denken kann. Da ist auch ein Fluß, welcher aus seinem Bette tritt, dann wird das ganze Land zu Schlamm. Man geht im Schlamm und ißt Frösche.«
»O!« sagten alle Jungen.
»Ja, da ist es herrlich! Man thut den ganzen Tag nichts anderes, als essen, und während wir es so gut haben, ist in diesem Lande nicht ein grünes Blatt auf den Bäumen; hier ist es so kalt, daß die Wolken in Stücke frieren und in kleinen weißen Lappen herunterfallen!« Das war Schnee, den sie meinte, aber sie konnte es nicht deutlicher erklären.
»Frieren denn auch die unartigen Knaben in Stücke?« fragten die jungen Störche.
»Nein, in Stücke frieren sie nicht, aber sie sind nahe daran, und müssen in der dunkeln Stube sitzen und duckmäusern; Ihr hingegen könnt in fremden Ländern umherfliegen, wo es Blumen und warmen Sonnenschein giebt!«
Nun war schon einige Zeit verstrichen und die Jungen waren so groß geworden, daß sie im Neste aufrecht stehen und weit umhersehen konnten, und der Storchvater kam jeden Tag mit schönen Fröschen, kleinen Schlangen und all' den Storchleckereien, die er finden konnte, geflogen. O, das sah lustig aus, wie er ihnen Kunststücke vormachte! Den Kopf legte er gerade herum auf den Schwanz, mit dem Schnabel klapperte er, als wäre er eine kleine Knarre, und dann erzählte er ihnen Geschichten, alle zusammen vom Sumpfe.
»Hört, nun müßt Ihr fliegen lernen!« sagte eines Tages die Storchmutter, und nun mußten alle vier Jungen hinaus auf den Dachrücken. O, wie sie schwankten, wie sie mit den Flügeln sich im Gleichgewicht hielten, und doch nahe daran waren, hinunter zu fallen!
»Seht nun auf mich!« sagte die Mutter. »So müßt Ihr den Kopf halten, so müßt Ihr die Füße stellen! Eins, zwei! Eins, zwei! Das ist es, was Euch in der Welt forthelfen soll!« Dann flog sie ein kleines Stück, und die Jungen machten einen kleinen, unbeholfenen Sprung. Bums! da lagen sie, denn ihr Körper war zu schwerfällig.
»Ich will nicht fliegen!« sagte das eine Junge und kroch wieder in das Nest hinauf. »Mir ist nichts daran gelegen, nach den warmen Ländern zu kommen!«
»Willst Du denn hier erfrieren, wenn es Winter wird? Sollen die Knaben kommen, Dich zu hängen, zu sengen und zu braten! Nun, ich werde sie rufen!«
»O nein!« sagte der junge Storch und hüpfte wieder auf das Dach wie die andern. Den dritten Tag konnten sie schon ordentlich ein bißchen fliegen, und da glaubten sie, daß sie auch schweben und auf der Luft ruhen könnten; das wollten sie, aber bums! da purzelten sie, darum mußten sie schnell die Flügel wieder rühren. Nun kamen die Knaben unten auf der Straße und sangen ihr Lied:
»Storch, Storch, fliege heim!«
»Wollen wir nicht hinunterfliegen und ihnen die Augen aushacken?« sagten die Jungen.
»Nein, laßt das!« sagte die Mutter. »Hört nun auf mich, das ist weit wichtiger! Eins, zwei, drei! Nun fliegen wir rechts herum. Eins, zwei, drei! Nun links um den Schornstein! Seht, das war sehr gut; der letzte Schlag mit den Flügeln war so niedlich und richtig, daß Ihr die Erlaubnis erhalten sollt, morgen mit mir in den Sumpf zu fliegen. Da werden mehrere hübsche Storchfamilien mit ihren Kindern sein; zeigt mir nun, daß die meinen die niedlichsten sind, und daß ihr recht einherstolziert; das sieht gut aus und verschafft Ansehen!«
»Aber sollen wir denn uns nicht an den unartigen Buben rächen?« fragten die jungen Störche.
»Laßt sie schreien, soviel sie wollen! Ihr fliegt doch zu den Wolken auf und kommt nach dem Lande der Pyramiden, wenn sie frieren müssen und kein grünes Blatt und keinen süßen Apfel haben!«
»Ja, Rache wollen wir nehmen!« zischelten sie einander zu, und dann wurde wieder geübt.
Von allen Knaben auf der Straße war keiner ärger, das Spottlied zu singen,
Weitere Kostenlose Bücher