Maerchen Fuer Kinder
wenn Du dann einst in Dein Grab kommst, dann sollst Du so ruhig schlummern –«.
»Als ob ich in Sorö läge!« sagte Tuk, und dann erwachte er; es war heller Morgen, er konnte sich nicht des mindesten von seinem Traum erinnern, aber das sollte er auch nicht, denn man darf nicht wissen, was geschehen wird.
Er sprang aus dem Bette und las in seinem Buch, und da wußte er seine Aufgabe sogleich. Die alte Waschfrau steckte den Kopf zur Thüre herein und sagte:
»Schönen Dank für Deine Hülfe gestern, Du liebes Kind! Der liebe Gott lasse Deinen besten Traum in Erfüllung gehen!«
Der kleine Tuk wußte gar nicht, was er geträumt hatte, aber der liebe Gott wußte es.
Fliedermütterchen.
Es war einmal ein kleiner Knabe, der hatte sich erkältet; er war ausgegangen und hatte nasse Füße erhalten, niemand konnte begreifen, woher er sie erhalten hatte, denn es war ganz trockenes Wetter. Nun entkleidete ihn seine Mutter, brachte ihn zu Bette und ließ die Theemaschine hereinbringen, um ihm eine gute Tasse Fliederthee zu bereiten, denn der Thee erwärmt. Zu gleicher Zeit kam auch der alte, freundliche Mann zur Thür herein, der ganz oben im Hause wohnte und allein lebte; denn er hatte weder Frau noch Kinder, liebte aber die Kinder und wußte so viel Märchen und Geschichten zu erzählen, daß es eine Lust war.
»Nun trinkst Du Deinen Thee,« sagte die Mutter, »vielleicht bekommst Du dann ein Märchen zu hören.«
»Ja, wenn ich nur ein neues wüßte!« sagte der alte Mann und nickte freundlich. »Wo hat der Kleine die nassen Füße bekommen?« fragte er.
»Ja, wie das geschehen ist,« sagte die Mutter, »das kann niemand begreifen.«
»Erzählen sie ein Märchen?« fragte der Knabe.
»Kannst Du mir genau sagen, denn das muß ich zuerst wissen, wie tief der Rinnstein in der kleinen Straße ist, wo Du in die Schule gehst?«
»Gerade bis mitten auf die Schäfte,« sagte der Knabe, »aber dann muß ich in das tiefe Loch gehen!«
»Sieh, davon hast Du die nassen Füße!« sagte der Alte. »Nun soll ich freilich ein Märchen erzählen, aber ich weiß keines mehr!«
»Sie können ein neues machen!« sagte der kleine Knabe. »Die Mutter sagt, daß Sie aus allem, was Sie betrachten, ein Märchen machen können, und von allem, was sie berühren, könne Sie eine Geschichte erzählen!«
»Ja, aber die Märchen und Geschichten taugen nichts! Die ordentlichen kommen von selbst, die klopfen mir gegen die Stirn und sagen: hier bin ich!«
»Klopft es nicht bald?« fragte der kleine Knabe; die Mutter lachte, that Fliederthee in die Kanne und goß kochendes Wasser darüber.
»Erzählen Sie etwas!«
»Ja, wenn ein Märchen von selbst kommen möchte, aber sie sind vornehm, sie kommen nur, wenn sie Lust haben! – Warte!« sagte er auf einmal. »Da haben wir eines! Gieb acht, nun ist eins in der Theekanne!«
Der kleine Knabe sah nach der Theekanne hin, der Deckel hob sich mehr und mehr, und die Fliederblumen kamen frisch und weiß daraus hervor, sie schossen große, lange Zweige, selbst aus der Leinwand verbreiteten sie sich nach allen Seiten und wurden größer und größer.
Es war der herrlichste Fliederbusch, ein ganzer Baum, er ragte in das Bett hinein und schob die Vorhänge zur Seite. Wie das blühte und duftete, und mitten im Baume saß eine alte, freundliche Frau mit einem sonderbaren Kleide, es war ganz grün, gleich den Blättern des Fliederbaumes, und mit großen, weißen Fliederblumen besetzt. Man konnte nicht so gleich erkennen, ob es Zeug oder lebendiges Grün und Blumen waren.
»Wie heißt die Frau?« fragte der kleine Knabe.
»Ja, die Römer und Griechen,« sagte der alte Mann, »die nannten sie eine Dryade, aber das verstehen wir nicht. Draußen in der Vorstadt haben wir einen besseren Namen für dieselbe, da wird sie ›Fliedermütterchen‹ genannt, und sie ist es, auf die Du acht geben mußt. Horch' nur auf, und betrachte den herrlichen Fliederbaum. Gerade so ein großer, blühender Baum steht da draußen; er wuchs in einem Winkel eines kleinen, ärmlichen Hofes. Unter diesem Baum saßen eines Mittags im schönsten Sonnenschein zwei alte Leute, es wär ein alter, alter Seemann und seine alte, alte Frau; sie waren Urgroßeltern und sollten bald ihre goldene Hochzeit halten, aber sie konnten sich des Hochzeitstages nicht recht entsinnen; die Fliedermutter saß im Baum und sah ebenso vergnügt aus; wie hier. ›Ich weiß wohl, wann Eure goldene Hochzeit ist!‹ sagte sie, aber die beiden Alten
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