Märchen unter dem Wüsenhimmel
gewonnen und den Krieg verloren? War es falsch, mehr von Khalil zu erwarten?
Sie wusste keine Antwort. Also blieb sie einfach sitzen, bis die Sonne unterging. Sie verbrachte die Nacht allein, und auch den folgenden Tag.
Zwei Abende später tauchte Khalil plötzlich in Doras Suite auf. „Guten Abend“, wünschte er und setzte sich neben sie auf das Sofa.
Sie nickte ihm zu. „Hallo.“
„Ich habe deine Wünsche respektiert“, bemerkte er schroff.
„Welche Wünsche?“
„Dass du in Ruhe gelassen wirst. Genießt du deine Einsamkeit?“
Sie schloss das Buch, in dem sie gelesen hatte, und legte es auf den Tisch. „Ich habe nie Einsamkeit verlangt. Ich habe lediglich um getrennte Unterbringung gebeten. Du hast die Gelegenheit jedoch dazu genutzt, mich von der Außenwelt abzuschneiden. Fühlst du dich groß und stark, indem du mich so behandelst?“
Nachdenklich musterte er sie. „Was immer ich auch tue, du scheinst entschlossen zu sein, das Schlimmste von mir zu denken. Ich habe ehrlich geglaubt, dass du allein sein wolltest. Als meine Frau bist du ein Mitglied der Familie, und es steht dir frei, deine Suite jederzeit zu verlassen und an den Mahlzeiten teilzunehmen. Du bist hier in einem Palast, nicht in einem Gefängnis.“
Sie wusste nicht, was sie von seinen Worten halten sollte. Meinte er es aufrichtig, oder spielte er ihr wieder nur etwas vor? „Also gut“, sagte sie schließlich. „Danke.“
„Du darfst außerdem deine Arbeit wieder aufnehmen. Ich erwarte dich um acht Uhr morgen früh in meinem Büro.“
Hätte er sie gefragt, ob sie gern wieder arbeiten wollte, hätte er ihr die Entscheidung überlassen, hätte sie bejaht. „Ich glaube nicht“, entgegnete sie kühl und trat hinaus auf den Balkon. Die Sonne war längst untergegangen. Dunkel und geheimnisvoll schimmerte der Ozean.
Khalil folgte ihr hinaus. „Ich gebe dir meine Erlaubnis.“
„Ja, ich weiß. Aber ich bin nicht interessiert.“
„Ich will, dass du für mich arbeitest.“
Sie lächelte zuckersüß. „Und ich will, dass du dich dafür entschuldigst, dass du mich belogen und damit in die Ehe gelockt hast. Ich will, dass du mir sagst, dass es ein Fehler war und du mich magst. Ich vermute, dass keiner von uns bekommen wird, was er will.“
„Du wirst nicht mit mir spielen, Weib.“
Sie drehte sich zu ihm um. „Und ich dachte, dass du gerade das willst.“
Seine Miene verfinsterte sich. „Ich bin Khalil Khan, Prinz …“
„Von El Bahar, ich weiß“, unterbrach sie ihn. „Ich habe diese kleine Rede schon hundert Mal gehört. Worauf willst du hinaus?“
Er erstarrte, offensichtlich vor Verblüffung über ihre Impertinenz. Sie selbst war ebenfalls ein wenig überrascht. Die Einsamkeit hatte ihr anscheinend Mut verliehen. „Ein Prinz zu sein, gibt dir nicht das Recht, andere zu benutzen. Du warst grausam zu mir. Du hast mich belogen und meine Unschuld ausgenutzt.“
„Ich habe dich geheiratet.“ Er trat näher zu ihr und nahm ihre Hand. „Komm für mich arbeiten.“
Sie ignorierte das Prickeln, das seine Berührung auslöste. „Ich bin die Prinzessin von El Bahar. Ich arbeite nicht. Außerdem ist mein Henna noch nicht verschwunden. Die Tradition verlangt …“
„Mir ist die Tradition bekannt“, unterbrach er sie diesmal schroff. „Ich wurde hier geboren. Wenn es dein Wunsch ist, dann soll es so sein. Du darfst in deinen Räumen bleiben, aber versuche nicht, sie zu verlassen. Von mir aus kannst du hier versauern.“ Er machte auf dem Absatz kehrt und stürmte zur Tür.
Dora schluckte schwer. Fatimas Worte über den gewonnenen Kampf und den verlorenen Krieg kamen ihr in den Sinn, und ein weiteres Sprichwort: Hochmut kommt vor dem Fall.
„Khalil?“, rief sie ihm nach. „Ich bin bereit, für dich zu arbeiten, aber nicht als deine Sekretärin.“
Er blieb stehen. „Ich nehme an, du willst das Land regieren.“
Sie ignorierte seinen Sarkasmus. „Nein.“ Sie trat zu ihm.„Ich will als Vermittlerin zwischen der Regierung und den westlichen Firmen fungieren, die hier investieren wollen. Ich habe viel Erfahrung mit amerikanischen Firmen, und ich habe schon sehr viel über El Bahar gelernt und lerne jeden Tag dazu.“
Wortlos blickte er sie an.
„Es wäre sehr vernünftig“, fuhr sie hastig fort. „Als Mitglied der königlichen Familie werde ich eher als Aushängeschild statt als Politikerin angesehen. Das würde die Männer in der Regierung beschwichtigen. Die westlichen Firmen hingegen wird es
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