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Maerchenerzaehler

Maerchenerzaehler

Titel: Maerchenerzaehler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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einem war jemand offenbar dabei, den Rumpf auszubessern. Kabel kringelten sich auf dem Boden, eine Handschleifmaschine stand neben einer Leiter. Vielleicht war es der Besitzer dieses Bootes gewesen, der vergessen hatte, die Türen abzuschließen. Sie wanderten eine Weile an den Booten entlang und Anna ließ ihre Hand über die hölzernen und die Kunststoffrundungen gleiten.
    »Mit diesem hier würde ich gerne einmal hinausfahren«, sagte sie, »oder mit dem da … aber keines ist wie das Hoffnungsschiff der kleinen Königin, oder?«
    Abel schüttelte den Kopf. Dann legte er plötzlich den Finger an die Lippen und löschte die Lampe. Anna lauschte. War da ein Geräusch gewesen? Das Geräusch von rennenden Füßen? Plötzlich wurde ihr kalt. Die Insel des Mörders war leer. Sie hatte ihn ganz vergessen. Was hatte sie heute am Strand gedacht? Er ist hier, ganz nahe … Sie drängte sich dicht an Abel, klammerte sich an ihn wie ein Kind, als hätte sie sich in Micha verwandelt, eine panische, sechsjährige Micha. Sie spürte seinen Herzschlag, der sich mit ihrem vermischte.
    »Abel, wir sind nicht alleine hier«, wisperte sie, so leise sie konnte, »oder?«
    »Ich weiß es nicht«, wisperte er zurück. Die rennenden Schritte näherten sich jetzt hinter den Booten, etwas fiel krachend um. Anna drückte sich noch dichter gegen Abel. Und Abel machte die Taschenlampe wieder an. Anna schloss die Augen.
    Im nächsten Moment hörte sie ihn lachen, erleichtert.
    »Du kannst die Augen öffnen«, sagte er. »Es ist nicht unser Mörder. Es ist eine Ratte.« Da sah Anna sie auch, eine große braune Ratte, die unter einem der Boote saß, neben einem umgekippten Eimer, und benommen ins Licht blinzelte. Schließlich verschwand sie mitsamt ihren eiligen Schritten wieder in den Schatten.
    Aber Abel und Anna standen noch immer eng aneinandergedrückt zwischen den aufgebockten Booten. Und Anna spürte noch immer Abels Herz, das abwechselnd mit ihrem eigenen schlug. Sie ließ ihn nicht los. Sie öffnete mit einer Hand den Reißverschluss seiner Jacke. Vielleicht war dies, und nur dies, die Gelegenheit, die sie brauchte. Die einzige Gelegenheit, die sich bieten würde. Sie wünschte, es wäre Sommer gewesen. Der Sommer ist verschwenderisch mit Gelegenheiten, mit warmen Abenden, lauen Nächten … mit Orten wie Stränden und Parkbänken und weichem Gras auf blühenden Wiesen. Aber in dieser Geschichte war Winter, ewiger, eisiger Winter. Und eine Bootshalle, dachte sie, war immerhin ein Ort ohne Schnee …
    Sie küsste ihn wieder und merkte, dass er die Lampe auf das Boot legte, neben dem sie standen. Ihre Hand fand einen Weg unter seinen Pullover, unter sein T-Shirt, und lag auf warmer, bloßer Haut, zunächst noch unverfänglich in Höhe des Herzens, das sie jetzt durch die Haut hindurch spürte. Sie spürte auch seine Hand, seine Hand hielt ihre fest, wollte sie nicht freilassen, hielt sie gefangen, wo sie war, doch sie entschlüpfte ihm, sie hatte die Augen geschlossen, mit geschlossenen Augen kann man besser tasten …
    Ja, dachte sie, noch immer schwindelig, vielleicht vom Wein. Ja. Jetzt. Später werde ich dies nie mehr wagen. Aber in diesem Moment bin ich nicht Anna Leemann, sondern jemand ganz anders, jemand Mutigeres.
    Sie waren noch immer in jenem Kuss miteinander verbunden und Annas Hand fand den Weg abwärts von selbst, fand einen Gürtel, den sie löste, fand mehr und lebendigere Körperwärme. Ihr Mantel war von ihren Schultern geglitten, sie dachte praktische Dinge wie: Man könnte den Mantel als Unterlage benutzen, der Boden ist verdammt hart … aber dann wiederum auch nicht nur der Boden … ihre zweite Hand entdeckte irgendwo eine Hand von Abel und zog sie unter ihre eigenen Kleider … und dann endete der Kuss abrupt. Abel flüsterte ihren Namen.
    »Anna, bitte«, flüsterte er. »Bitte, tu das nicht, das geht nicht gut … du willst ein Abenteuer erleben … ein kleines Mädchen, das ein Abenteuer erleben will, aber das geht nicht gut …«
    »Natürlich geht es gut«, flüsterte Anna, ihre Lippen so nah an seinen, dass sie sie beim Sprechen streiften. »Mach dir keine Sorgen …«
    Sie ließ ihn los und schlüpfte aus dem Pullover, aus ihrem T-Shirt, es war eine einzige fließende Bewegung, einfacher, als sie gedacht hatte, sie löste die Haken ihres BHs, und dann war sie nackt, von der Hüfte aufwärts nackt. Sie fror nicht. Ihr war nie wärmer gewesen. Himmel, sie war wirklich betrunken. Irgendwo in ihrem

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