Maerchenerzaehler
Kopf sagte eine kleine Stimme: Was tust du da? Du bist doch sonst nicht so – was ist in dich gefahren? Sie hörte nicht auf die Stimme.
Sie sah, dass das Licht der Taschenlampe merkwürdige Schattenmuster auf ihre Brüste malte. Sie war ein Kunstwerk, das Kunstwerk dieser Nacht. Sie sah Abel an. Schau, wollte sie sagen, schau, es ist alles ein Teil des Märchens. Aber er löste seinen Blick beinahe gewaltsam und sah weg.
»Mach dir keine Sorgen«, wisperte sie noch einmal. »Du … du müsstest doch mehr darüber wissen als ich.«
»Nein«, wisperte er, und da war eine gewisse Verzweiflung in seiner Stimme, die sie nicht wahrnahm, erst später, erst zu spät, oder die sie durchaus wahrnahm und ignorierte. Er sah noch immer weg. »Hör auf damit. Ich will das nicht, ich …«
Ich fange gerade erst an, dachte sie mit einem Lächeln, ich fange gerade erst an zu leben, ich fange mit allem auf der Welt erst an. Sie gab seine Finger frei, und ihre Hände kehrten zurück zu seinem Körper, in noch nicht ausgelotete Tiefen, wo sie durchaus spürte, dass sein Körper wollte, was sie wollte, es war nur allzu klar. Sein Atem neben ihrem Ohr war stockend, mühsam beherrscht, und auch darüber lächelte sie. Er sprach wieder mit ihr, er presste Worte hervor, die sie nicht begriff.
»Das … das hat bei mir nichts mit … Zärtlichkeit zu tun, nur mit … Gewalt … zwing mich nicht …«
Sie zwang ihn nicht. Zwang sie ihn? Sie schloss ihre Finger voller Behutsamkeit um seine Erektion wie um etwas Neues, das ihr gehörte, das sie in Besitz nahm, sie wusste ja nichts, sie lernte erst, sie zwang ihn zu nichts, nein …
Und dann gab es eine Art Klick. Etwas wie das Umklappen eines Schalters. Ganz plötzlich.
Die Passivität fiel von Abel ab, seine Hände rissen ihre Hände hoch, er befreite sich, und sie dachte, er würde sie von sich wegschubsen, doch stattdessen packte er sie an den Schultern und drehte sie um, so rasch, dass sie nicht reagieren konnte.
»Warte!«, sagte sie.
Sein warmer Körper war ganz dicht an ihrem, zu dicht plötzlich, und die Bewegungen seiner Hände, die ihre Hose, ihren Slip herunterstreiften, waren nicht vorsichtig und nicht behutsam. Sie wollte noch immer das Gleiche wie er, aber es ging jetzt zu schnell … odermussten die Dinge so sein? Sie war sich nicht sicher, sie kannte sich nicht aus. Er wusste besser, wie was zu geschehen hatte, sie kooperierte, natürlich, aber –
»Warte!«, wisperte sie noch einmal. »Können wir nicht … bitte … du musst mir zeigen, wie …«
Aber es war, als hörte er sie nicht. Nicht mehr. Er drückte sie hinunter auf den Boden, sie stürzte und fiel auf die Knie, schmerzhaft, auf den harten Betonboden. Sie verstand nicht, was geschah. Aber sie verstand, dass es verkehrt war. Später, in ihrer Erinnerung, würde sie die Szene immer wieder und wieder erleben: Sie versucht, wieder auf die Beine zu kommen, doch da ist sein Gewicht auf ihr, und seine Hände, seine Hände halten sie fest, er ist zu stark für sie. »Nein!«, flüstert sie, sie windet sich jetzt. »Hör auf! Nicht so … so war es nicht gemeint … dann lassen wir es ganz … hör auf, hör auf! Ich schreie …« Sie schreit nicht. Sie kann nicht schreien. Er hält ihr die Hand vor den Mund. Und das ist der Moment, in dem sie begreift, dass es kein Zurück gibt. Dass sie verloren hat. Sie hat jetzt nur noch Angst, Angst vor dem, was er nicht mehr kontrollieren kann. Alle menschlichen Drüsen haben ihre Sekretion eingestellt, dies kann überhaupt nicht funktionieren: zu viel Reibungsfläche, zu wenig gleitenden Flüssigkeiten. Sie wehrt sich, sie versucht, um sich zu schlagen, aber sie trifft ihn nicht, sie ist hilflos, sie ist ein Bündel aus dummer, hilfloser Angst, kniend auf dem Betonboden einer verlassenen Halle, kniend wie in einem absurden Gebet. Alles geht zu schnell, viel zu schnell, sie presst die Beine zusammen, er zwingt sie mit einem Knie auseinander, und dann ist da ein jäher Schmerz, das Eindringen eines Fremdkörpers, ja, das ist es, was sie denkt: Fremdkörper. Gewalt funktioniert auch ohne Sekretion. Das hinter ihr, das ist nicht mehr Abel, das ist niemand, den sie kennt, das ist etwas, das ihr nur noch Furcht einflößt, etwas, das ihr wehtut und, schlimmer noch, das ihr wehtun will. Ein Tier. Der Schmerz reißt sie in der Mitte auseinander, er ist überall, er kehrt ihre Eingeweide von innen nach außen, das Licht der Taschenlampe scheint fahl und unwirklich
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