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Maerchenerzaehler

Maerchenerzaehler

Titel: Maerchenerzaehler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Michelle verschwunden ist, scheint ein Unglück das andere zu jagen. Man kann so schnell laufen, wie man will, das Unglück ist schneller.« Er hob etwas auf, das auf dem Tisch gelegen hatte, und inspizierte es, ein Gerät, das einem Rasierapparat glich.
    »Ist das … ein Kurzhaarschneider?«, fragte Anna misstrauisch.
    Abel nickte. »Haarschneidetag. Mal sehen, was für ein Unglück geschieht, wenn ich dieses Ding anmache.«
    »Drei Millimeter«, sagte Anna.
    Er nickte wieder. Da stand Anna auf und nahm ihm den Haarschneider aus den Händen.
    »Wenn ich verspreche, dir nicht den Hals durchzuschneiden und erst hinterher weiterzutrinken«, begann sie, »würdest du mir die Haarschneideschere anvertrauen? Ich möchte nicht, dass du wieder aussiehst wie jemand, der du nicht bist.«
    »Wo ist eigentlich der Pullover?«
    Sie griff in ihren Rucksack und grinste. »Linda hat ihn gewaschen. Ich habe es erst gemerkt, als er auf der Leine hing.«
    Abel schüttelte den Kopf. »Sieh du bloß zu«, sagte er ernst, »dass du nicht versuchst, jemanden aus mir zu machen, der ich nicht bin.«
    Aber dann gab er ihr die Schere trotzdem und sie trat hinter ihn und fuhr mit dem Kamm durch sein Haar wie er zuvor durch das von Micha. Ronja und Birk beim Läusekämmen, dachte sie und lächelte. Schneehaar, Eishaar, war auch sein Haar im Sommer weiß? Sie konnte sich nicht erinnern, sie hatte ihn im letzten Sommer nicht angesehen, er war da gewesen, ohne zu existieren. Das Geräusch der schneidenden Schere machte ihr Angst.
    »Ich soll dir etwas von Magnus ausrichten«, sagte sie. Es war ganz gut, dachte sie, dass er stillhalten musste, denn so musste er auch zuhören. »Von meinem Vater, weißt du. Wir haben über ein paar Dinge gesprochen. Nicht über alles, nicht über Sören Marinke zum Beispiel. Aber darüber, dass eure Mutter weggegangen ist … und dass das Geld nicht vom Himmel fällt. Ich weiß, dass ihr keine Almosen wollt … Halt still, ich bin gefährlich! Aber er hat gesagt, er würde dir gerne ein Angebot machen. Etwas, das ähnlich funktioniert wie BAföG. Er würde das Geld auslegen, das ihr zum Leben braucht und das du zum Studieren brauchst, und später, wenn du fertig wärst, wenn du einen Job hättest … dann könntest du es ihm zurückgeben. Es wäre nicht eilig. Du könntest alles zurückgeben, nach und nach, egal, wie lange es dauern würde. Aber jetzt, jetzt könntest du dich aufs Abi konzentrieren und auf Micha. Es wäre ein Darlehen ohne Zinsen, nicht wie bei einer Bank, das wäre der Vorteil …«
    Abel sagte nichts. Eine Zeit lang war nur das Geräusch der Haarschneideschere zu hören. Draußen fuhren irgendwo in der Ferne Autos vorüber. Anna hörte ihren eigenen Atem. Sie hörte das Klopfen ihres Herzens. Schließlich legte sie die Schere und den Kamm auf den Tisch.
    »Fertig. Das war’s. Keine drei Millimeter, aber kürzer.«
    »Danke«, sagte er.
    Sie folgte ihm ins Bad und sah hinter ihm in den Spiegel. Er lächelte.
    »Du könntest dir überlegen, Friseurin zu werden. Klar, dafür machst du Abi. Anna … ich weiß nicht … dieses Angebot deines Vaters … ich kenne ihn nicht.«
    »Nein«, sagte Anna. »Ich im Übrigen auch nicht. Ich weiß nur, dass er gerne die Vögel in unserem Garten füttert und dass er meine Mutter liebt. Das ist alles.«
    »Mehr, als ich je über meinen Vater wissen werde«, sagte Abel. »Ich weiß nicht einmal seinen Namen. Das Studium … ich habe dir gesagt, wir hätten nur ein Konto, aber das stimmt nicht. Wir haben noch eins. Eins, das genau dafür da ist. Ein Ausbildungskonto. Michelle hat keinen Zugriff darauf. Ich arbeite nicht nur, damit wir etwas zum Leben haben. Ich arbeite auch für dieses Konto. Damit später alles anders wird, für Micha … das ist das Wichtigste. Dass für Micha alles anders wird, als es für mich war. Es reicht natürlich nicht, was auf diesem Konto ist. Noch lange nicht. Ich werde über das Angebot deines Vaters nachdenken. Lass mich nachdenken.«
    »Ja. Natürlich.« Sie legte ihre Arme um ihn und sah ihn weiter im Spiegel an. »Musst du heute Abend weg?«
    »Nein«, sagte er. Er sah hinab auf ihre Arme, und sie dachte, er würde sie wegnehmen, doch er tat es nicht. »Aber ich möchte noch mal zum Strand rausfahren«, sagte er. »Man sagt, sie kehren zurück, nicht wahr?«
    »Wer?«
    »Mörder. Sie kehren zurück zum Ort des Mordes. Jetzt, nachts, wenn niemand anders am Strand ist … vielleicht treffen wir jemanden dort. Vielleicht

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