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Maerchenerzaehler

Maerchenerzaehler

Titel: Maerchenerzaehler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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nicht, vielleicht ist es Quatsch. Wahrscheinlich ist es Quatsch.«
    »Ist es«, sagte Anna. »Aber ich komme mit. Und weißt du, wen wir noch mitnehmen? Die Weinflasche. Wenn wir keinen Mördertreffen, können wir uns immer noch im Schnee an den Strand setzen und Wein trinken. Mir ist danach, etwas Unsinniges zu tun.«
    Der Strand lag lang und grau im Licht eines vagen Halbmondes. Am Himmel jagten sich Wolken. Es war windig und eiskalt. Anna trug unter ihrem Mantel wieder einen von Abels Pullovern, nicht den mit den Onkelz, einen dunkelblauen mit Reißverschluss und ohne Aufschrift, Aldi-Sonderangebot, hatte Abel gesagt. Sie gingen nebeneinander über den Strand, Abel hatte die Hände tief in den Taschen des Militärparkas, und Anna wusste, dass sie ihn jetzt nicht anfassen durfte. Es gab zu viele ungeschriebene Regeln. Sie trug die Weinflasche im Rucksack, wieder fest verkorkt. Sie würde versuchen, die ungeschriebenen Regeln auszulöschen, neu zu schreiben, zu lockern … Das Absperrband, sinnlos geworden bei Nacht, sang im Wind wie eine verstimmte Geigensaite, ein hoher, unwirklicher Ton. Das Viereck, das es abgrenzte, war wie ein Grab. Sie blieben dort stehen, am Rand einer Grube, die nichts mehr enthielt. Wie lange würden sie die Absperrung hier lassen? Wozu war sie noch gut? Der Schnee hatte längst alle Spuren zugedeckt und die Leute hatten den Strand an diesem Tag mit neuen überzogen. Vielleicht zögerten sie aus einem gewissen Respekt heraus, Respekt vor dem Toten, als wäre er erst dann wirklich unwiderruflich tot, wenn auch dieses letzte Zeugnis seines Mordes schwand, das sinnlose Band zwischen den sinnlos in den Strand gerammten Metallstäben. Die Absperrung, das Grab, dachte Anna, befand sich ganz am rechten Ende des Strandes, nahe bei dem Häuschen, in dem der Studentenkurs im Sommer seine Surfbretter aufbewahrte. Dahinter lag der diesseitige Eingang zum Strandbad, denn der Strand von Eldena war abgezäunt und kostete im Sommer Eintritt. Und hinterdiesem Eingang hatte einst der Elisenhain begonnen, der Buchenwald mit seinen hohen Bäumen. Jetzt standen dort nur noch wenige Bäume, und stattdessen führte ein Weg zum Neubaugebiet, wo Gitta wohnte. Der Wald war vor den Menschen zurückgewichen, er begann erst jenseits des Neubaugebiets wieder, jenseits der Wolgaster Straße.
    Anna fragte sich, ob der Mörder von dort gekommen war. Ob er durchs Neubaugebiet gegangen war, vorbei an dem steril abwaschbaren, modernen Kasten mit den großen Glasfenstern, vorbei an den letzten verbliebenen Bäumen … er war durch das Eingangstor im Strandzaun getreten und hatte sich vielleicht im Schatten des verschlossenen Surferhäuschens versteckt, um auf sein Opfer zu warten.
    »Nachts«, sagte sie laut. »Ich stelle mir vor, dass es nachts geschehen ist. Sonst hätte doch jemand etwas gesehen?«
    Abel nickte. »Es ist sicher eine Menge Arbeit, einen Menschen im Sand zu begraben. Jemand hätte etwas gesehen.«
    Anna sah den Strand entlang. Einen Moment lang glaubte sie, am anderen Ende jemanden zu entdecken, doch dann war niemand da. Sie musste sich getäuscht haben. Und wenn hinter dem Surferhäuschen jemand kauerte, in diesem Moment, jemand mit einer Waffe? Und wenn jemand im Schatten der Bäume hinter dem Zaun wartete? Wenn jemand bei den ersten Häusern des Neubaugebiets stand, ein Fernglas vor den Augen, den Blick in ihre Richtung gewandt? Die Insel des Mörders war leer. Er war hier, ganz nah. Es war, als könnte sie seinen Blick auf sich fühlen.
    »Abel«, flüsterte sie. »Was denkst du?«
    Er hatte die Finger um das Absperrband gekrallt und starrte hinab in die Grube, aus der sie Sören Marinke gezogen hatten.
    »Ich frage mich, ob er Kinder hatte«, sagte Abel. »Seltsam. Ich frage mich das erst jetzt.«
    »Im Radio haben sie nichts davon gesagt. Ich denke nicht.«
    »Oder eine Frau. Eine Freundin. Irgendwen. Ich frage mich, wer weint.« Er schüttelte den Kopf. »Lass uns gehen. Hier ist niemand. Es war eine dumme Idee, herzukommen.«
    Die Pfützen aus Schatten, die in den Senken und Spuren am Strand lagen, schienen nach ihren Füßen zu schnappen, als sie über den Strand zurückgingen. Beim vorderen Eingang nahm Abel Annas Hand. Ihre Räder standen neben dem verwaisten Haus, das im Sommer die Eintrittskarten verkaufte, doch sie ließen sie stehen und gingen hinüber zu dem kleinen Fischerhafen an der Flussmündung. Nur ein paar streunende Katzen strichen dort zwischen den Baracken und Schuppen umher,

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