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Maerchenerzaehler

Maerchenerzaehler

Titel: Maerchenerzaehler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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sich etwas sehr wünscht«, murmelte sie, »stellt man es sich vor.«
    »Aber er hat die Augen geöffnet!«, beharrte Anna. »Er hat mit uns geredet.«
    »Hm«, sagte die Ärztin. »Mit uns redet er jedenfalls nicht. Und wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht, ob er jemals wieder reden wird.«
    Anna versuchte den ganzen Sonntag, zu lernen und zu üben, doch ihre Gedanken wanderten auf die Intensivstation, wanderten an den Strand, wo vermutlich jetzt kein Absperrband mehr hing, wanderten zu der Kneipe, vor der Rainer Lierski auf der Straße gelegen hatte. Wanderten zu Abel. Mehr als irgendetwas sonst auf der Welt wünschte sie sich, sie könnte bei ihm sein, sie könnte zusammen mit ihm herausfinden, was hier geschah.
    Einmal kam Linda herein und brachte Anna einen Stapel Wäsche, aber der Stapel Wäsche war nur ein Vorwand. Linda stand eine Weile am Fenster und sah hinaus.
    Und Anna sagte lange nichts.
    »Die Wäsche sieht nach Trockner aus«, meinte sie schließlich und drehte sich zu Linda um. »Irgendwie.«
    »Ja«, sagte Linda. »Ist es nicht gut, dass er wieder heil ist?«
    »Er war nie kaputt, habe ich recht? Du hast irgendetwas damit angestellt.«
    Linda hob die Schultern. Sie sah Anna noch immer nicht an, sie sah aus dem Fenster.
    »Was wolltest du damit bezwecken? Abel hier festbinden? Es ist nicht gut, Leute zu Dingen zu zwingen.«
    »Ich musste Micha nicht zwingen, mit mir Kekse zu backen«, antwortete Linda leise.
    »Micha?«
    »Ich würde … ich dachte … es ist so schön, wieder ein kleines Kind im Haus zu haben«, flüsterte Linda. »Ein Kind, das Kekse backt und … das einem erlaubt, auf es aufzupassen. Das sich in den Arm nehmen lässt. Du bist … so weit weggerückt.«
    Anna sah auf ihr Buch. Sie sah Linda. »Du weinst ja«, sagte sie.
    »Unsinn …«
    »Dann hast du es wegen Micha getan? Damit Micha bleibt?«
    »Ich wünschte, sie wäre …«, flüsterte Linda und presste ihr Gesicht an die kühle Scheibe. »Ich wünschte, sie wäre geblieben.«
    Zweimal an diesem Nachmittag klingelte Annas Handy und sie erkannte Bertils Nummer. Ausgerechnet Bertil. Sie nahm nicht ab. Am Abend rief sie Abel an. Sie sprachen nicht über Bertil, sie sprachen nicht über Absperrbänder und über Leute, die im Eis einbrachen. Sie sprachen über den Sommer. Darüber, was sie dann tun würden. Segeln vielleicht. Weit hinausschwimmen. Den Winter vergessen.
    »Morgen«, sagte Anna, »morgen haben wir noch ein paar völlig lächerliche Kurse. Ich frage mich, ob es eine Vertretung in Deutsch gibt. Morgen … sehen wir uns.«
    »Ja«, sagte Abel. »Micha lässt dich grüßen, und Linda, sag Linda, dass sie sie auch grüßen lässt.«
    »Abel? Ist am Mittwoch nicht der dreizehnte März?«
    »Doch.«
    »Dann hast du am Mittwoch Geburtstag.«
    »Ja.«
    »Am Mittwoch erreichen sie das Festland.«
    »Noch ist nicht Mittwoch.«
    »Nein«, sagte sie und lächelte. »Bis morgen.«
    »Bis morgen«, sagte Abel.
    In dieser Nacht träumte Anna von blühenden roten Flammen, einem Inferno, einem brennenden Haus. Nein, einer Bootshalle. Die Flammen waren überall, die Hitze war unerträglich und sieselbst stand mitten darin. Sie sah sich von außen. Oder war das gar nicht sie selbst? War das Abel? Im Traum verschwammen die Grenzen.
    Und dann kam der Montag. Und sie begriff den Traum zu spät.

16
    Wahrheit
    Sie saß in Mathe, als die Durchsage kam.
    Noch eine Woche Erklärungen, die sie nicht verstand und die sie nicht interessierten, und dann nur noch Formeln, die sie in ihren Kopf zwingen musste. Sie wusste, dass sie zuhören musste, aber sie ließ Mathe nur über sich ergehen. Ganz hinten saß Abel, er war wieder einmal zu spät gekommen. Er sah müde aus, wie meistens, und sie überlebte Mathe dafür, hinterher mit ihm zu sprechen. Sie wusste nicht einmal, worüber. Sie wollte einfach mit ihm sprechen.
    Und dann kam die Durchsage.
    »Die Schultheatergruppe«, sagte die desinteressierte Stimme der Sekretärin, »bittet einen Moment um eure Aufmerksamkeit.«
    Anna legte den Stift hin und lehnte sich zurück. Es gab jedes Jahr um diese Zeit eine solche Durchsage, einen Ausschnitt aus einem Stück, freundliche Reklame. Eine willkommene Unterbrechung des Unterrichts. Merkwürdig, das war Bertils Stimme. Seit wann war Bertil in der Schultheatergruppe? Sie warf einen Blick zu Gitta hinüber. Gitta zuckte mit den Schultern und begann, auf dem Rand ihrer Schreibunterlage herumzukritzeln. Und plötzlich, noch ehe Bertils Worte ganz zu

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