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Maerchenerzaehler

Maerchenerzaehler

Titel: Maerchenerzaehler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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ob du es warst.«
    »Klar, ich renne nachts herum und schieße auf Leute, die ich nicht mal kenne«, sagte Bertil mit einem merkwürdigen Lachen. »Logisch.«
    »Woher weißt du, dass Marinke nachts erschossen wurde?«
    »Ich dachte? Tagsüber ist es etwas auffällig, jemanden am Strand in Eldena zu erschießen. Aber Anna, ich habe nichts mit der ganzen Sache zu tun. Der einzige Mensch, den ich kenne, der etwas mit den dreien zu tun hatte, ist Tannatek.«
    »Drei«, sagte Anna. »Du weißt also auch, dass es drei sind.«
    »Das mit dem Knaake hat sich herumgesprochen.«
    »Er ist ins Eis eingebrochen.«
    »Ach so?«
    »Bertil.« Sie lachte beinahe. »Ist das nicht seltsam? Mit allem, was du tust, bewirkst du immer das Gegenteil von dem, was du willst. Die Autofahrt im Schnee … du wolltest mir etwas beweisen, aber du hast mir Angst gemacht. Und jetzt … ich weiß jetzt, dass Abel niemanden erschossen hat. Ich war mir die ganze Zeit über nicht sicher, aber jetzt weiß ich es.«
    »Warum?«
    »Weil du in diesem Moment mit mir redest. Weil du nach dem, was du getan hast, noch lebst.«
    Sie unterbrach die Verbindung und schloss die Haustür auf.
    Aus dem Wohnzimmer kamen Stimmen. Sie blieb stehen und lauschte – eine der Stimmen gehörte Linda, aber die andere gehörte nicht in dieses Haus. Es war eine helle Frauenstimme, Anna kannte sie – sie kam nicht darauf, woher. Sie streifte Schuhe und Mantel ab und ging den Stimmen nach.
    Auf dem Sofa neben Linda saß Michas Lehrerin mit dem unaussprechlichen Namen.
    »Anna«, sagte Linda. »Das ist meine Tochter.«
    »Ich weiß«, sagte Frau Mirkowicz. »Wir kennen uns bereits.«
    Die Hand, die Annas Hand schüttelte, war kühl und glatt.
    »Was ist passiert?«, fragte Anna.
    »Setz dich doch«, sagte Linda.
    »Nein!«, rief Anna, plötzlich panisch. »Ich will wissen, was passiert ist!«
    Und dann setzte sie sich doch, oder ließ sich vielmehr in einen der Sessel fallen, und starrte Michas Lehrerin an. Sie war so jung, so blond, ihre grüne Bluse so frühlingshaft, und Anna fragte sich, wie Michelle eigentlich ausgesehen hatte. Sie hatte nie ein Bild von ihr gesehen.
    »Warum sagen Sie denn nichts?«, fragte Anna. »Sagen Sie doch was! Bitte! Wo … wo sind sie?«
    »Wo … wie?«, fragte Frau Mirkowicz.
    »Micha hat ihr erzählt, sie wohnt hier«, sagte Linda. »Sie hat wohl ein bisschen geschwindelt. Ihre Lehrerin wollte endlich eine Adresse haben, um Michas Mutter zu besuchen, und nun ist sie bei uns gelandet.«
    »Das … das ist alles?«, fragte Anna.
    »Ja«, sagte Frau Mirkowicz und pustete einen Kekskrümel von der frühlingsgrünen Bluse. »Ich mache mir Sorgen um die Kleine, verstehen Sie? Ihr Bruder, der auf sie aufpasst, ist … er ist ein wenig Furcht einflößend, und die Art, wie er verhindert, dass irgendwer an seine Schwester herankommt, ist … ich weiß nicht, ich habe kein gutes Gefühl. Aber Sie wissen das besser. Sie kennen ihn. Ihre Mutter hat mir gesagt, dass … er vielleicht nur so wirkt. Und dass meineSorgen unbegründet sind.« Sie stand auf. »Ich möchte Sie nicht länger belästigen … wenn ich weiß, dass Sie sich auch alle ein wenig kümmern, ist ja alles in Ordnung.«
    Anna sah Linda an. Danke, dachte sie. Danke, danke, danke.
    Die grüne Frühlingsbluse wand sich im Flur in einen hellen Frühlingsmantel. Sie besaß sogar einen Frühlingshut, einen Hut aus Filz mit einer blauen Blume. Sie war hübsch in ihren Frühlingssachen. Anna dachte, dass sie sie gerne als Lehrerin gehabt hätte, früher, mit sechs Jahren. Jetzt nicht mehr.
    »Eigentlich wollte ich auch mit Abels Lehrer sprechen«, sagte Frau Mirkowicz. »Wir waren verabredet, um miteinander zu sprechen. Er ist nicht gekommen.«
    »Nein«, sagte Anna.
    Und dann schloss sich die Tür hinter dem filzbehüteten Frühling.
    »Danke«, sagte Anna zu Linda, laut jetzt, »danke, danke, danke.«
    »Und was«, fragte Linda, »ist diesmal geschehen?«
    Sie brauchte einen ganzen Nachmittag, um in ihrer Erzählung zur Wahrheit zu kommen, zu dem einen Fakt, den Bertils Durchsage enthalten hatte. Die Worte waren zu hart, sie wünschte sich beinahe Gitta her, damit Gitta Linda alles erklärte, Gitta hatte keine Probleme mit harten Worten.
    »Gitta würde sagen«, flüsterte sie schließlich, »er ist ein Stricher.«
    »Ich hätte ein anderes Wort«, bot Linda an. »Im Film heißt es ›Callboy‹ …«
    »Nein«, sagte Anna und sah zu Boden. »Ein Callboy ist jemand,den du anrufst, als

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