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Maerchenerzaehler

Maerchenerzaehler

Titel: Maerchenerzaehler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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zusammengefaltet unter den Fellen in der Kajüte. Wenn man es herausnimmt, bläst der Wind es zu einem Ballon auf. Die Kajüte kann sich in eine Gondel verwandeln, die müsst ihr darunterhängen … Aber benutzt das Luftschiff nur im Notfall. Es fliegt mit dem Wind. Und der Wind weht zurzeit vom Festland weg. Wenn ihr das Luftschiff benutzt, seid ihr sicher vor den Jägern, aber ihr werdet das Festland vielleicht nie erreichen.‹
    Da kniete die kleine Königin nieder und schlang ihre Arme um den Hals des Hundes. ›Warum sagst du IHR?‹, fragte sie. ›Was ist mit dir? Verlässt du uns denn?‹
    ›Ja‹, sagte der silbergraue Hund. ›Ich halte sie auf.‹
    Und dann löste er sich aus der Umarmung der kleinen Königin und sprang mit einem großen Satz – nein, beinahe flog er – mitten durch die Luft auf das schwarze Schiff.«

10
    Sisters of Mercy
    »Ja … aber … und dann?«, fragte Micha atemlos.
    »Ich weiß nicht, was dann passiert ist«, sagte Abel. »Es ist vielleicht noch nicht passiert. Wir müssen abwarten. Außerdem sind wir da.«
    Sie hatten die verschneiten Buchen hinter sich gelassen und standen wieder am Ende der Hainstraße vor dem russischen Laden. Abel schloss sein Rad auf. »Das Schloss ist beinahe festgefroren«, sagte er. »Es ist wirklich verdammt kalt.«
    »Lass uns nach Hause fahren und heißen Apfelsaft mit Zimt trinken«, sagte Micha, »und Pfannkuchen backen. Es ist genau das richtige Wetter für Pfannkuchen. Und du musst Anna noch zeigen, wie es geht. Wie man sie umdreht und wirft und alles.«
    »Vielleicht möchte Anna lieber nach Hause gehen«, sagte Abel. »Vielleicht muss sie noch etwas für die Schule tun oder Querflöte üben oder …«
    »Soll Anna lieber nach Hause gehen möchten?«, fragte Anna.
    Er schüttelte langsam den Kopf.
    »Komm mit.« Und dann stahl sich ein Grinsen auf sein Gesicht. »Es wird wohl Zeit, dass du lernst, Pfannkuchen zu wenden.«
    Der graue Flur war ihr beinahe schon vertraut, die Bierflaschen, die sich vor einer Tür stapelten, die sauer gewordene Luft, die scharfen Zähne der Stufen, das schiefe Geländer. Sie waren im ersten Stock, als sich die Tür unten öffnete.
    »Abel!«, rief Frau Ketow. »Warte!«
    »Geh schon hinauf«, sagte Abel zu Micha und beugte sich übers Geländer. Unten stand Frau Ketows ausladende Gestalt im Trainingsanzug, hielt sich mit einer Hand am Geländer fest und verrenkte den Kopf, um zu Abel hinaufzusehen.
    »Ich wollt nur sagen, die Michelle«, rief sie hinauf, »die kommt nicht zurück, was? Ich weiß, dass sie nicht zurückkommt.«
    Abel machte seine Augen schmal und sah sie an.
    »Woher?«, fragte er und begann langsam, die Stufen wieder hinunterzugehen. Anna folgte ihm.
    »Ich könnt’s schon erzählen. Aber ich tu’s nicht«, sagte Frau Ketow, leiser. »Ich weiß ’ne Menge.«
    Abel stand jetzt genau vor ihr. Sie reichte ihm bis zur Brust. Ihr Trainingsanzug war fleckig, das strähnige Haar hatte sie zu einem straffen Pferdeschwanz zusammengezwungen, der ihr breites, formloses Gesicht bloßstellte. Vorn war eine Strähne rot gefärbt. Anna fragte sich, wie sie aussehen würde, wenn sie zwanzig Kilo abnahm. Ob sie dann hübsch wäre. Ob sie es gewesen war, früher einmal. Aus der Wohnung hinter ihr drang Kindergeschrei.
    »Ich weiß auch, dass das Sozialamt jetzt dauernd bei euch vor der Tür steht«, fuhr Frau Ketow fort. »Die wollen die Kleine, was? Du kannst die Kleine nicht behalten, Abel, ist dir doch klar, oder? Ich wollt nur sagen, du musst dir keine Sorgen machen. Ich hab schon meine drei Pflegekinder, aber das macht nichts. Ich könnt noch ein viertes nehmen. Die Kleine, die könnt im Haus bleiben, du könntstsie immer sehen, ich hätt nichts dagegen. Sie könnt bei mir wohnen, die is ja größer wie die andern, das geht schon, ich würd das dem Sozialamt auch sagen, weißt du, ich hab keine Probleme mit denen, ich nicht …«
    Abel trat noch einen Schritt näher und Frau Ketow wich zurück.
    »Richten Sie Ihren Freunden vom Sozialamt einen schönen Gruß aus«, sagte er kalt. »Und sagen Sie ihnen, Michelle kommt zurück.« Er sah jetzt wieder gefährlich aus, ein großer grauer Wolf im Hausflur, er fletschte die Zähne, und obwohl man es nicht sehen konnte, sah Frau Ketow es.
    »Die … die war nie so zu mir«, sagte sie und wich weiter zurück. »Wir haben uns verstanden, die Michelle und ich, wir haben manchmal eine zusammen geraucht …«
    »Ich bin nicht Michelle«, sagte Abel. »Und

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