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Maerchenerzaehler

Maerchenerzaehler

Titel: Maerchenerzaehler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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jetzt gehen Sie und kümmern Sie sich um die Pflegekinder, die Sie schon haben. Dafür bezahlt Sie das Sozialamt.«
    Damit drehte er sich um und ging die Treppen hinauf, diesmal ohne stehen zu bleiben. Oben schloss er die Wohnungstür auf, streifte die Schuhe ab und legte im Flur einen Moment die Hände vors Gesicht. Anna stand hilflos daneben, sie wollte etwas tun, etwas sagen, irgendetwas Hilfreiches, doch ihr fiel nichts ein. Ihr fiel nur ein, dass sie Frau Ketow heute schon gesehen hatte. An Bord eines schwarzen Schiffes.
    Abel nahm die Hände herunter und sah sie an. »Pfannkuchen?«, fragte er.
    Sie nickte.
    Und dann saß sie zusammen mit Micha in der Küche auf dem schmalen Fensterbrett, während Abel Pfannkuchenteig rührte. DieKüche füllte sich mit dem Geruch nach Pfannkuchenteig und heißem Öl, die Scheibe des schmalen Fensters beschlug von innen. Anna malte ein Schiff in die Millionen winziger Tropfen, und Micha malte einen Hund, der auf dem Bug stand. Aus dem alten Kassettenrekorder auf dem Küchentisch klang Leonard Cohen.
    Oh, the sisters of mercy, they are not departed or gone.
    They were waiting for me when I thought that I just can’t go on.
    And they brought me their comfort and later they brought me this song.
    Oh, I hope you run into them, you who’ve been travelling so long …
    Frau Ketow war weit weg.
    »Siehst du, und wenn sie sich am Rand von selbst lösen, dann muss man die Pfanne schütteln und den Pfannkuchen werfen«, sagte Abel. »Guck, hier …«
    Anna glitt vom Fensterbrett und stellte sich hinter ihn, um sich die Pfannkuchen genau anzusehen, und einen Moment lang ruhte ihr Kinn auf seiner Schulter. Sie hätte gerne länger dort gestanden. Aber Abel trat zurück und warf den Pfannkuchen, er fing ihn tatsächlich wieder auf, und Micha klatschte.
    »Abel«, sagte sie, »kann nämlich alles, weißt du?«
    Und Anna dachte: Wenn man sich nur mit Pfannkuchen durchs Abitur werfen könnte!
    »Wartet«, sagte Micha. »Ich glaube, ich habe was gehört. Vielleicht …«
    Anna folgte ihr in den Flur. Es klingelte. Es klingelte jetzt zum zweiten Mal.
    »Vielleicht ist sie das«, flüsterte Micha.
    »Wer?«, fragte Anna.
    »Michelle«, sagte Micha. »Sie mochte Abels Pfannkuchen immer so gerne. Vielleicht hat sie sie gerochen und ist nach Hause gekommen.« Sie rannte zur Tür und riss sie auf, ehe Anna überhaupt etwas sagen konnte. Und beinahe wollte Anna glauben, Michelle stünde jetzt vor der Tür, und alles würde gut werden. Wenn man nur stark genug daran glaubte.
    Vor der Tür stand ein Mann, den Anna noch nie gesehen hatte. Er trug eine Wildlederjacke mit Schaffell innen, einen Islandpullover und Jeans. In seinem linken Ohr glänzte ein silberner Ring und in seinem Dreitagebart hing ein breites Lächeln. Unter dem Arm trug er eine schwarze Aktenmappe.
    »Das ist aber schön, dass du mir doch einmal aufmachst«, sagte der Mann zu Micha und stellte seinen Fuß in die Tür, ehe Micha sie wieder schließen konnte. Er schüttelte ihr die Hand, dann schüttelte er Anna die Hand, und dann schloss er die Tür hinter sich.
    »Ich weiß nicht, wer Sie sind«, sagte er zu Anna, »aber mein Name ist Sören Marinke. Ich komme vom Sozialamt. Ich war schon hier, aber bisher hat niemand mich hereingelassen. Ich denke, es ist höchste Zeit, dass wir uns unterhalten.«
    Das Sofa im Wohnzimmer war zu weich, es fiel Anna zum ersten Mal auf, wie wenig Halt es bot. Sie hörte Abel in der Küche mit Geschirr klappern. Aber sie wusste, dass er lauschte.
    Marinke saß auf dem Sessel, Anna und Micha gegenüber.
    »Tja, also«, sagte er, rutschte auf dem Sessel nach vorne und stützte seine Hände auf die Knie, wie jemand, der etwas auf sehr effektive Weise besprechen und dann anfangen will zu handeln. »Du bist Micha, nicht wahr? Micha Tannatek? Ich bin Sören Marinke. Du kannst Sören zu mir sagen …«
    Micha schüttelte den Kopf. »Warum sollte ich das sagen?«, fragte sie, und Anna verkniff sich ein Lachen. Marinke sah etwas irritiert aus.
    »Micha … ich bin wegen deiner Mutter hier.«
    »Die ist verreist«, sagte Micha. »Sie heißt Michelle. Sie kommt bald wieder.«
    Marinke nickte. »Wir haben uns nur gefragt, ob es vielleicht gut wäre, wenn du woanders wohnen könntest, bis sie wiederkommt.« Er sah zu Anna hinüber. »Sind Sie irgendwie verwandt?«
    Anna schüttelte den Kopf. »Ich bin nur … eine Freundin.«
    »Sie ist Abels Freundin«, erklärte Micha, und obwohl die Situation denkbar

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