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Maerchenerzaehler

Maerchenerzaehler

Titel: Maerchenerzaehler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Meer, in dem er bewusstlos getrieben war, als Seelöwe, in einem Märchen, sie schmeckte das Bild des schwarzen Netzes und das der Segel, die herabfielen wie welke Blätter … Sie fragte sich, ob sie ihn jemals ohne Micha treffen würde.
    Mit dem kann man nur eine Fickbeziehung haben, hörte sie Gitta sagen. Weit gefehlt, dachte sie, weit gefehlt, Gitta.
    Und dann hörte sie die Haustür – und Stimmen im Flur. Nie hatte ein Kuss so abrupt geendet. Anna öffnete die Augen, sah Abel an und lächelte. Er lächelte nicht. Er sprang auf. Sie stand ebenfalls auf, langsamer, und griff nach seiner Hand.
    »Warte«, bat sie leise. »Renn nicht weg. Bitte. Sie beißen nicht, weißt du?«
    »Ich sollte nicht hier sein«, sagte er.
    »Doch«, sagte Anna.
    Micha blinzelte, streckte sich und gähnte. »Was ist passiert?«, fragte sie verschlafen.
    »Wir müssen los«, sagte Abel.
    Er sah sich um, gehetzt, als wollte er in den Garten hinausstürzen und über die Dächer fliehen. Er zog seine Hand aus Annas Hand. Er wirkte völlig verloren in dem großen Wohnzimmer, in der blauen Luft, verloren wie in einem Ozean voller klirrender Eisstückchen.
    Die Wohnzimmertür öffnete sich und Magnus und Linda kamen beinahe gleichzeitig herein. Linda blieb stehen, erstaunt. Dann lächelte sie.
    »Ach so«, sagte sie, und jetzt lächelte sie nicht mehr, sie lachte, ein leises und blaues Lachen. »Ist es das?«
    »Was?«, fragte Anna.
    »Deine Geheimnistuerei«, sagte Magnus, schüttelte den Kopf und legte seine Tasche auf einen Sessel. »Ja, sieht so aus, als wäre es das. Als wäre er das.«
    Abel sagte nichts, er sah von Linda zu Magnus und zurück wie ein Tier, das man in die Enge getrieben hat, mit flackerndem Blick. »Das ist Abel«, sagte Anna. »Und das ist seine Schwester, Micha.«
    »Hallo, Micha«, sagte Linda.
    Magnus streckte die Hand aus, und Abel begriff mit einer minimalen Verzögerung, was er wollte, und schüttelte sie. Er hatte noch immer nichts gesagt.
    »Schön, dich kennenzulernen«, sagte Magnus mit seiner tiefen, dröhnenden Stimme. »Bist du mit Anna auf der Schule?«
    Abel nickte.
    »Ich brauche dringend einen Kaffee«, erklärte Magnus und machte sich auf den Weg in die Küche. »Trinkt ihr auch einen mit?«
    »Micha trinkt sicher keinen Kaffee«, sagte Linda. »Vielleicht ist Kakao die bessere Wahl.«
    »Kakao ist gut«, sagte Micha. »Sie haben ein furchtbar schönes Haus. Und so viele Bücher. Ich habe in Annas Hängematte geschaukelt …«
    »Micha«, sagte Abel und nahm sie an der Hand. »Wir müssen jetzt gehen.«
    »Warum müssen wir gehen?«, fragte Micha. »Ist es schon so spät? Wir haben doch gar nichts vor, wir können gut noch …«
    »Komm«, sagte Abel und zog sie in Richtung Haustür.
    »Abel …«, sagte Anna.
    »Vielen Dank für das Angebot mit dem Kaffee«, sagte Abel, während er in seine Jacke schlüpfte. »Aber wir haben tatsächlich noch etwas vor. Wir haben die Zeit ganz vergessen.«
    Er half Micha in ihre rosa Daunenjacke, und ehe sie noch mehr sagen konnte, schob er sie zur Tür hinaus. Dann schloss sich die Tür hinter ihnen.
    Anna öffnete sie wieder.
    »Was soll denn das?«, rief sie. »Komm zurück, du Idiot!«
    Aber Abel hatte Micha bereits auf seinen Gepäckträger gehoben.
    »Nein«, sagte er. »Versuch, es zu verstehen. Da sind zu viele Dornen auf der Insel der Rosenleute.«
    »Bis eben waren keine da!«, rief Anna verzweifelt. »Bis eben …«
    »Denk an das, was im Mittendrin passiert ist«, sagte Abel, und jetzt war seine Stimme scharf wie die Kanten einer Eisscholle auf dem Meer. »Komm mit, hast du gesagt, sie haben sicher nichts dagegen, all deine feinen Freunde, und dann? Was war dann? Mit deinen Eltern wird es das Gleiche sein.« Er schüttelte den Kopf und stieg auf sein Rad.
    »Worüber redet er?«, fragte Micha.
    »Das weiß er selbst nicht«, sagte Anna und ging zurück nach drinnen. Sie warf die Tür hinter sich zu und versuchte, ruhig durchzuatmen. Magnus kam aus der Küche, eine Tasse in der Hand.
    »Himmel«, sagte er, stellte die Tasse auf die Flurkommode und fand ein Taschentuch in seiner Tasche, das er Anna reichte.
    »Was soll ich damit?«, schnaubte Anna.
    »Ich dachte, dir die Tränen abwischen.«
    »Komisch«, erwiderte Anna, das Taschentuch in der Hand. »In letzter Zeit passiert mir das dauernd … dass ich heule und es gar nicht merke.«
    »Komm mit ins Wohnzimmer«, sagte Magnus in einem seltenen Befehlston. »Und trink einen Kaffee oder von mir aus

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