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Maerchenerzaehler

Maerchenerzaehler

Titel: Maerchenerzaehler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Schein behalten. Er ist das Einzige …« Er brach ab. »Micha, ich weiß nicht, ob du hier auf dem Sofa herumhüpfen solltest.«
    »Doch«, sagte Anna. »Das sollte sie. Ich bin früher auch darauf herumgehüpft. Ich tue es heute noch manchmal. Es ist dazu da.«
    »Und deine Eltern?«
    »Hüpfen nur in Ausnahmefällen«, sagte Anna grinsend und kniete sich vor den Kamin. »Ich habe euch ein Feuer versprochen, oder? Und ein Mittagessen …«
    »Die Holzscheite in diesem Korb sehen ganz lecker aus«, sagte Abel. »Sie sind nur noch nicht ganz durch.«
    Als die Flammen im offenen Kamin prasselten, war es Anna, als verbrannten alle Sorgen, die sie sich in den letzten vierundzwanzig Stunden gemacht hatte. Sie saßen zusammen vor dem Feuer und sprachen über die genaue Zubereitung von Holzscheiten, und Micha beobachtete die Funken, die das Kiefernholz schlug, und alles war gut. Sie wollte Abel fragen, warum er mit Micha nach Rügen gefahren war, warum er nicht ans Telefon gegangen war, warum er ihr nichts gesagt hatte, doch sie tat es nicht. Sie ging in die Küche und wärmte den Rest eines Auflaufs auf, den Linda am Vortag gemacht hatte. Sie hatte ihnen gesagt, dass sie keine Hilfe wollte. Sie pfiff, während sie Teller suchte. Als sie zurück ins Wohnzimmer kam, saßen Abel und Micha zusammen auf dem Fußboden. Sie waren beide über einen Bildband gebeugt, den Magnus Lindazu Weihnachten geschenkt hatte, einen Band mit Fotos von der Wüste.
    »Ich … wir …«, sagte Abel und schlug das Buch zu.
    »Ihr könnt es ruhig ansehen«, sagte Anna. »Das hier ist kein Museum, sondern eine Wohnung. Die Wüste gehört meiner Mutter. Sie liebt Wüsten. Wenn ich nach England gehe, nach dem Abi, dann fährt sie in irgendeine Wüste, hat sie gesagt, zum Ausgleich.«
    »Kann ich mitkommen?«, fragte Micha sofort. »Ich will auch mal so eine Wüste sehen. Da sind ganz viele Bilder von Sand in dem Buch, bestimmt ist er warm und man kann ihn durch die Hände rieseln lassen. Vielleicht gibt es eine Insel mit einer Wüste in unserer Geschichte, oder, Abel? Warum sind wir noch nie in eine Wüste verreist?«
    »Man muss sehr weit mit dem Flugzeug fliegen«, sagte Abel. »So lange willst du sicher nicht in einem Flugzeug sitzen.«
    »Doch, ich will dringend in einem Flugzeug sitzen!«, rief Micha. »Ich bin noch nie geflogen! Können wir mal fliegen, Abel?«
    »Wenn wir den Auflauf gegessen haben, fliegen wir zu Fuß die Treppe hinauf, und du kannst dir mein Zimmer ansehen«, sagte Anna schnell. »Wenn du willst, kannst du versuchen, einen Ton aus meiner Querflöte herauszubekommen, das ist gar nicht so einfach.«
    Micha bekam keinen Ton aus der Querflöte, aber sie hielt sie lange in den Händen. Sie setzte sich in die Hängematte in Annas Zimmer und sah zur Decke und sagte, sie wollte gerne hier einziehen, aber ihr Hochbett würde natürlich fehlen, und ob sie die Bücher im Regal angucken dürfte, wenn sie ganz vorsichtig wäre, was sie durfte, und Anna und Abel standen einfach daneben und sahen ihr zu.
    »So wird es nie«, sagte Abel leise, »so wird es bei uns nie.«
    Da legte Anna ihre Arme um ihn und flüsterte: »So ist es schon lange. Nur sieht man es nicht auf den ersten Blick. Weißt du, dass ich mich manchmal bei euch wohler fühle? Gestern dachte ich das. Aber, Abel … was ist mit dem silbergrauen Hund passiert, nachdem er auf das schwarze Schiff gesprungen ist? Was ist passiert? Geht es ihm gut?«
    Er strich durch ihr Haar, einen Moment nachdenklich, und ließ seine Hand dort ruhen, die Finger in eine Strähne verwickelt. Er hatte ihr Haar noch nie zuvor berührt. Es gab eine Menge Stellen an ihrem Körper, dachte sie, die er noch nie berührt hatte. Ihr war auf einmal sehr warm.
    »Der Hund«, sagte sie. »Er hat sich an der Reling entlanggeschlichen, auf lautlosen Pfoten …«
    Micha sah von dem alten Bilderbuch auf, das sie auf den Knien hatte. »Erzählst du weiter?«, fragte sie und vergaß ganz offensichtlich alle Bilderbücher und alle Hängematten der Welt. »Lass uns runtergehen, zum Kamin. Du musst am Kamin erzählen, das gehört sich so für Märchen.«
    »Der silbergraue Hund schlich sich auf lautlosen Pfoten an der Reling entlang bis zum Heck des schwarzen Schiffes«, sagte Abel, während Anna Holz nachlegte. »Dann verlor die kleine Königin ihn aus den Augen.
    ›Er soll nur schön auf sich aufpassen‹, brummte der Leuchtturmwärter.
    ›Wer sind die Leute dort?‹, fragte die kleine Königin ängstlich.

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