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Märchenerzähler

Märchenerzähler

Titel: Märchenerzähler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Michaelis
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würde die Luft mit seinem Duft schwer und melancholisch machen … im Sommer, in einer Million Jahren.
    An diesem Tag blühte eine einzige Rose am Rosenstrauch. Sie war so einzeln, dass sie unerträglich kitschig wirkte, und Anna hatte dem Versuch widerstehen müssen, sie abzuschneiden. Heute hatte sie keinen Sinn für Rosen.
    Die Luft über dem Wasser war jetzt dunkelblau. Irgendwo hingein Fischerboot zwischen Wasser und Himmel. Anna zerstörte die dünne Eisschicht mit der Spitze ihres Stiefels und hörte das leise Knacken und das Wasser darunter.
    »Er wohnt mit hundertprozentiger Sicherheit nicht in so einem Haus«, sagte sie leise. »Ich weiß nicht, wie so jemand wohnt. Anders.«
    Und dann trat sie mit dem Fuß ganz ins Wasser, bis das Wasser durch den Stiefel drang und die Kälte sie erreichte.
    »Ich weiß überhaupt nichts!«, schrie sie dem Meer zu. »Überhaupt nichts!«
    Worüber denn?, fragte das Meer.
    »Über die Dinge außerhalb der Seifenblase!«, rief Anna. »Ich will … ich will …« Sie hob die Hände, wollene, gemusterte Handschuhhände, hilflos, und ließ sie wieder sinken.
    Da lachte das Meer, aber es hatte kein freundliches Lachen. Es machte sich lustig. Bilde dir bloß nicht ein, du könntest so einen kennenlernen wie Tannatek, sagte das Meer. Und denk mal an den Drei-Millimeter-Haarschnitt. Bist du sicher, dass du dich da nicht mit einem Rechten anlegst? Nicht jeder, der eine kleine Schwester hat, ist ein guter Mensch. Was ist überhaupt ein guter Mensch? Und hat er überhaupt eine kleine Schwester? Vielleicht …
    »Sei doch still«, sagte Anna zum Meer und drehte sich um, um über den kalten Sand zurückzugehen.
    Hinter dem Strand zur Linken erhob sich der Wald, schwer und schwarz. Im Frühling würden die Buschwindröschen zwischen den hohen Buchen blühen, aber bis dahin war es noch eine Weile hin.

2
    Abel
    »Bilde dir bloß nicht ein, du könntest so einen kennenlernen wie Tannatek«, sagte Gitta. »Denk mal an den Drei-Millimeter-Haarschnitt …« Sie schlug ihre Füße unter und wippte ein wenig auf der Ledercouch auf und ab. Anna dachte daran, wie sie als Kinder genau diese Couch als Trampolin benutzt hatten. Die Couch stand vor einer Glaswand und dahinter lag irgendwo der Strand. Man sah den Strand nicht, das halbe Neubaugebiet lag dazwischen. Das Haus mit der Glaswand im Wohnzimmer war ein Teil des Neubaugebietes, ein Klotz von einem Haus, völlig quadratisch, irgendwie modern, aber auf eine misslungene Art.
    Der Garten war zu ordentlich. Gitta hatte erklärt, sie wäre sich fast sicher, dass ihre Mutter in unbeobachteten Momenten die Blätter der Buchsbaumhecke steril abwusch.
    Gitta kam nicht besonders mit ihrer Mutter aus. Sie war Chirurgin an der Klinik, so wie früher Annas Vater, aber er war auch nicht besonders mit ihr ausgekommen und in eine weniger ordentliche Praxis geflohen.
    »Anna?«, sagte Gitta. »Worüber denkst du nach?«
    »Ich dachte … ich dachte über unsere Eltern nach«, sagte Anna. »Und dass sie alle Ärzte sind oder sonst was.«
    »Sonst was«, sagte Gitta, stieß die Luft verächtlich durch die Naseaus und drückte ihre drinnen verbotene Zigarette auf einer Untertasse aus. Sie rauchte sie vermutlich nur, weil sie verboten war. »Ganz genau. Was hat das mit Tannatek zu tun?«
    »Nichts«, sagte Anna und seufzte. »Alles. Ich habe mich gefragt, was seine Eltern sind. Woher er kommt. Wo er wohnt.«
    »Ostseeviertel«, sagte Gitta. »Ich seh ihn da immer langfahren. Plattenbau, da beim Aldi.«
    Sie rutschte auf dem Sofa ganz nach vorne und sah Anna scharf an. Ihre Augen waren blau. Wie die von Abel, dachte Anna, aber anders. Wie viele Arten von Blau gab es auf der Welt? Theoretisch unendlich viele … »Warum willst du all diese Dinge wissen?«, fragte Gitta mit einem gewissen lauernden Unterton.
    »Nur … so«, sagte Anna.
    »Ach, nur so«, meinte Gitta. »Ich werd dir was sagen, mein Kind. Du hast dich verknallt. Werd nicht gleich rot, das passiert jedem. Aber du hast dir den Falschen ausgesucht. Mach dich nicht unglücklich. Mit einem wie Tannatek kannst du höchstens eine Fickbeziehung führen und da fängst du dir wahrscheinlich noch was ein. Das ist nichts für dich.«
    »Jetzt halt mal die Luft an!«, sagte Anna und merkte, dass sie fauchte. »Wir reden hier überhaupt nicht über Beziehungen und übers … über … darüber schon gar nicht. Meine Welt ist vielleicht nicht ganz so beschränkt wie deine, und ich denke ab und zu über

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