Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
Gemeinderat von Bollate. Die von Mandalari und Simeti entwickelte Strategie sah vor, die Gemeindeverwaltung durch die Ablehnung des Haushaltsentwurfs zu stürzen, einen eigenen Kandidaten für den Bürgermeisterposten aufzustellen und sich dann zur Durchsetzung ihrer Ziele mit einer der übrigen politischen Kräfte zu verbünden. Wie aus den abgehörten Unterhaltungen hervorging, war das Hauptinteresse von Mandalari naheliegenderweise nicht politischer, sondern ein ökonomischer Natur. Er wollte, dass sich die neue Gemeindeverwaltung seine Unternehmerinteressen zu eigen macht und ihm alle relevanten Aufträge zuspielt. »Wir schmeißen den Bürgermeister raus, und zwar hochkant, das ist unsere Absicht, meine Freunde«, verkündet Mandalari vor Simeti und anderen Gleichgesinnten.
Auch der stellvertretende Bürgermeister von Bollate erfährt von der Politintrige Mandalaris. Und zwar direkt von Simeti, wie der Abhörtrupp der Polizei aufzeichnen konnte. Mandalari und Simeti benötigten demzufolge achthundert Stimmen, um einen Kandidaten ihrer Wahl in den Gemeinderat entsenden zu können. Aus den Worten Mandalaris ging die Bedeutung der Lokalpolitik für die ’Ndrangheta unmissverständlich hervor. Der während der Operation »Crimine« verhaftete Boss gab zu, dass er sich für Politik nur aus dem Grund interessiert habe, weil in Bollate so wenig gebaut worden sei und deshalb die Gemeinde als Auftraggeber herhalten müsse. Er erzählte dem mit ihm befreundeten Anwalt auch von weiteren illegalen Bauten, beispielsweise von illegal hochgezogenen Häusern in Cascino del Sole, einem Ortsteil von Bollate.
Die ’Ndrangheta will sich die Politik gefügig machen, und zwar ausschließlich aus Gründen der Profitmaximierung. Macht man Mandalari darauf aufmerksam, dass der Bürgermeister, den er zu Fall bringen will, von der Linken ist, antwortet er: »Rechts oder Links, das ist innerhalb der Lokalpolitik völlig egal.« Die ’Ndrangheta ist daher politisch zunächst einmal »neutral«, weder rechts noch links noch in der Mitte. Sie giert nach Geld und Macht, von denen sie ihr Ansehen bezieht und das sie dann am Verhandlungstisch mit dem politischen System und Unternehmern benutzen kann.
Bei den Versuchen von Teilen der ’Ndrangheta, ins politische System Norditaliens einzudringen, handelt es sich nicht um Einzelfälle. Auch Leonardo Valle, ein in Mailand wohnender Mafioso mit Verbindung zum Condello-Clan aus Reggio di Calabria, kandidierte bei den Gemeindewahlen 2009 mit dem Ziel, Stadtrat in Cologno Monzese zu werden. Der Versuch scheiterte. Er wurde nicht gewählt, ebenso wenig Riccardo Cusenza, Kandidat in der Gemeinde Cormano auf der Liste der PdL, der von sich sagte, er sei eng befreundet mit Guido Podestà, dem Präsident der PdL in der Provinz Mailand. Auch zwei weitere Kandidaten der Cosa Nostra aus Gela (Sizilien) fielen bei diesen Wahlen durch. Sie versuchten 2007 in den Stadtrat von Parma einzuziehen, bei den Abtrünnigen der UDEUR (
Unione Democratici per l’Europa
, dt.: Union der Demokraten für Europa).
Alles Belege dafür, dass die Mafien nach wie vor versuchen, eigenes Personal in die Politik einzuschleusen. So wie zu Zeiten der Landung der Amerikaner auf Sizilien 1943, als diese zum Dank für Kundschafterdienste und sonstige Hilfestellungen aller Art vor Ort berüchtigte Mafiosi zu Bürgermeistern der eroberten Gemeinden machten. Für den überwiegenden Teil der Mafien gilt aber, dass diese das Rampenlicht der Öffentlichkeit so sehr scheuen, dass sie vor solchen Abenteuern regelmäßig zurückschrecken. Sie ziehen es vor, wie bisher im Schatten zu agieren, still und heimlich. Um von dort das süße Gift der Korruption unter die Leute zu bringen, abseits der Scheinwerfer. So wie in Trezzano sul Naviglio. Die dortigen Ereignisse bewiesen einmal mehr die Fähigkeit der ’Ndrangheta, verdeckte Operationen durchzuführen. Sie benutzte dafür eine Gruppe von Unternehmern, die gesprächsbereit waren und ihre Kooperation freiwillig anboten.
Den Clans Gefälligkeiten anzubieten, um die eigenen Geschäfte abzusichern, ist leider eine verbreitete Unart geworden in Unternehmerkreisen Norditaliens. Im November 2009 begann die Operation »Parco Sud«. Die Anti-Mafia-Direktion des italienischen Innenministeriums deckte dabei ein System auf, das auf der Zusammenarbeit von ’Ndrangheta und Immobilienspekulanten beruhte. Daran wirkte an erster Stelle der Barbaro-Papalia-Clan aus Platì (Kalabrien) mit, der, wie
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