Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
Camorra-Clans der Vallefuocos und der Casalesis konnten in San Marino unter Beihilfe eines Rechtsanwaltes, der sie beriet, sogar eine eigene Finanzgesellschaft gründen. Zugunsten dieser Gesellschaft holten sie – unter anderem mit Hilfe von Bedrohungen und Erpressungen – Kredite ein. Den Vallefuocos gehörte auch eine Bäckerei in San Marino. Die Produkte dieses Betriebs wurden gemäß einem Beschluss der Staatsregierung von San Marino auch an Schulen und Hotels geliefert. Das sorgte für Aufsehen: »Camorra-Brot für unsere Kinder«, wie Lokalzeitungen titelten. Doch der Bruder und die Schwester von Vallefuoco, die die Besitzer dieser Bäckerei sind, streiten entrüstet jeden Zusammenhang mit der Camorra rundheraus ab. Vier Monate nach dieser Befragung wurde eben dieser Bruder, Giovanni Vallefuoco, im Rahmen der Operation »Vulcano« festgenommen.
Die Brotlieferungen der Camorra-Bäckerei erreichten auch zwei der größten Kooperativen der Region: die im Gastronomiebereich in ganz Italien aktive gemeinnützige Service-Ko-operative CAMST sowie die soziale Kooperative der vereinigten Krankenpfleger CIR. »Es handelte sich nur um gelegentliche Lieferungen im Jahr 2009«, erklärte die CAMST einige Tage, nachdem der Sachverhalt öffentlich geworden war. Ähnlich reagierte die in Reggio Emilia und Modena aktive
CIR Food
. Sie fügte hinzu, dass Brot ein Produkt sei, das einen örtlichen Lieferanten verlange. 2010 seien insgesamt 307 Firmen mit der Lieferung von 1200 Produkten für den Sektor Frischbrot beauftragt worden. Es sei für eine Gesellschaft dieser Größe nicht möglich, die Herkunft der Mitglieder im Gesellschafterkreis aller beauftragten Lieferanten zu überprüfen, ergänzte die CAMST. Das sei Aufgabe der hierfür zuständigen staatlichen Stellen, auch zum Schutz der Auftragsgeber, ihrer Angestellten und der Verbraucher.
»Während des Zeitraums, in dem die Firma
Vallefuoco
Brot lieferte, gab es zahlreiche Beschwerden vonseiten der Kinder, denen das angelieferte Brot nicht schmeckte«, beklagte damals die Partei
Sinistra Unita
von San Marino und zwang damit die Schulbehörde, eine öffentliche Versammlung in der Gemeinde Fiorentino (San Marino) einzuberufen. In dieser sollten die Eltern die Möglichkeit haben, ihre Meinung kundzutun. Zu ihrer Rechtfertigung gab die Behörde an, dass der Vertrag über die Brotlieferung nicht aus Gründen des Geschmacks, sondern nur eventuell aus Qualitätsgründen gekündigt werden könne. Es gab zahlreiche Zeugenaussagen, denen zufolge der Inhalt der Brotlieferungen von geringer hygienischer Qualität gewesen sei. Es gab auch informelle Anfragen, und hinter vorgehaltener Hand wurde die Bitte geäußert, mehr über die Aktivitäten der Bäckerei
Vallefuoco
herauszufinden. Aber die Nachforschungen blieben ohne Ergebnis. »Es hat nicht funktioniert, das müssen wir zugeben. Es liegt nicht in unserer Kompetenz, und es ist leider heute nicht mehr möglich, die Qualität des Brots zu untersuchen«, resümierte die
Sinistra Unita
.
Auch der Gemeinderat von Desio (bei Mailand) lief zeitweise Gefahr, wegen mafiöser Unterwanderung aufgelöst zu werden. Als die meisten der gewählten Volksvertreter Wind von der drohenden Gefahr bekamen, traten sie zurück. Damit erinnert die Sache in etwa an den Fall der Gemeinde Fondi, als Minister Maroni eine Auflösung des dortigen Gemeinderats wegen mafiöser Unterwanderung plante, die Gewählten jedoch die Demission vorzogen. Es gibt allerdings einen entscheidenden Unterschied. Über den Fall Fondi gibt es eine fünfhundert Seiten starke Dokumentation, in der bis ins kleinste Detail die Gefälligkeiten gegenüber der ’Ndrangheta und dem Casalesi-Clan festgehalten wurden. Im Fall Desio gibt es überhaupt keine Dokumentation, weil die vorbereitende Kommission erst gar nicht einberufen wurde und in den Tagen, als über die mögliche Einsetzung einer solchen Kommission Gerüchte laut wurden, die Abgeordneten ihren Massenrücktritt erklärten. Zurück blieb allein der Assessor Natale Marrone, Cousin eines mutmaßlichen Mafioso, gegen den in der Operation »Crimine« im Juli 2010 ermittelt wurde.
Marrone wurde mit einem Vorsprung von vierhundert Stimmen gewählt und war gleichzeitig der Präsident des Kreisverbandes der rechtsgerichteten Partei
Alleanza Nazionale
in Desio. 2009 – ein Jahr, bevor er gewählt wurde – bat Marrone den örtlichen Pate Pio Candeloro darum, den Chef der Technikabteilung im Bauamt der Gemeinde Desio, zu
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