Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
besagten San Luca oder in Rosarno, gebeten werden, aufgetretene Streitigkeiten zu schlichten, mit einem Durchsetzungsvermögen, das ihnen zuerkannt wird ohne Diskussionen und ohne den Hauch eines Zweifels von allen Beteiligten. (…) All das bestätigt das eindrucksvolle Kontrollvermögen der organisierten Kriminalität aus Kalabrien und ihr internes Strukturierungspotential.« So weit die Untersuchungsakten der Operation »Tenacia« der Anti-Mafia-Behörde Mailand.
Salvatore Strangio, der Mann, dem Ivano und der damalige Oberboss Antonio Pelle vertrauen, beginnt mit der Umsetzung eines präzisen Plans: Rettung der ins Schlingern geratenen Firma. Das Mittel dazu ist, die Firma bis zum Platzen mit ’Ndrangheta-Kapital vollzupumpen. Die Firma
Perego General Contractor
ist nur eine der Firmen, die Ivano und seine früheren Geschäftspartner schufen. Aber die übrigen Firmen sind größtenteils schon stillgelegt, eine davon, die
Perego Straßenbau
, hat 18 Millionen Euro Schulden und soll über einen Vergleich abgewickelt werden. Bis das geschieht, versteckt sich die Mafia hinter der Firma und Ivano schiebt den Männern von Strangio die Wachstumsprojekte zu. Andrea Pavone entwirft mit Zustimmung von Strangio einen Plan zum Wiederaufstieg der
Perego
. Ivano ist verblüfft. Hinter diesem Plan entdeckt er, benebelt von Korruption und verhätschelt vom Luxus, den Rettungsanker. Fusionen und die Übernahme von konkurrierenden Firmen gehören zur Strategie, die die Mafiosi verfolgen.
Von den rauen Bergen Kalabriens bis zu den geschmeidigen Erhebungen des Finanzkapitalismus ist es für die Mafiosi nur ein kleiner Schritt. Die ’Ndrangheta hat ihre Überzeugungen und ihre archaischen Charakterzüge auf dem deregulierten System des Kapitalismus im dritten Jahrtausend aufgebaut. Dem Turbokapitalismus. Einem weltweiten Wettstreit, in dem die Skrupellosigkeit gewinnt, mit der Firmen und Finanzen geschaffen werden. Auf der Verliererseite steht die Ethik, die unter den tödlichen Schlägen des im Wettbewerb befindlichen Egoismus und des kriminellen Profits ins Wanken gerät. Am Ende triumphiert derjenige, der den unternehmerischen und politischen Weitblick, wie er ethisch orientierter Geschäftsführung innewohnt, hinter sich lässt.
Die Mafia-Clans haben im Norden ein System geschaffen und im Süden ein Gemetzel veranstaltet. Letztlich halten sie das Land zusammen, das unter dem Ansturm autonomistischer Tendenzen von jedem Winkel des Landes aus leidet. Und das darin geübt ist, ein auf Korruption, Befehlen und Vergünstigungen gegründetes Netzwerk zu knüpfen. Blut, Blei und Einschüchterungen stellen den Klebstoff dar, der die verzweigten Intrigennetze zusammenhält, welche die Mafia im Laufe ihrer über hundertjährigen Geschichte geknüpft hat. Und es ist jene mafiöse Bindekraft, die Italien seit seiner Vereinigung 1870 zusammenhält, die von der Vereinigung
daSud
aufgegriffen wurde, die zum Jubiläum der italienischen Einheit eine provokante Kampagne startete, »Die Mafia-Clans schweißen uns zusammen«. Provokant, aber realistisch. Ein für Italien typisches Paradoxon, das von der ewigen Herrschaft des mafiösen Systems zeugt, welches den Alltag im Süden regiert und im Norden die Wirtschaft leitet.
Ivano weiß nichts von den Hintergründen, warum seine Firma auserwählt wurde. Nicht einmal, warum die Clans aus der Lombardei ihren gierigen Blick überhaupt auf seine Firma richteten. Vage hat er eine Vorstellung davon, aber er wird abgelenkt von dem Luxus, mit dem er sich umgibt, und von den üppigen Geschenken, die er an Mafiosi und Politiker verteilt. In der Lombardei sind Typen wie Ivano Perego die typischen Schnittstellen zwischen Mafia und Politik. Das ist ihm bewusst. Er stellt sich mit beiden Seiten gut. Von der einen sind öffentliche Ausschreibungen und Vergünstigungen zu erwarten, von der anderen Schutz und Hilfe, wenn es darum geht, die Konkurrenz auszuschalten.
Er bildet sich ein, alles unter Kontrolle zu haben. Doch dabei hat er längst überhaupt nichts mehr unter Kontrolle, sondern er leitet lediglich einen Namen, eine leere Hülle. Der Wirtschaftsbulldozer der ’Ndrangheta, in Gestalt von Salvatore Strangio und Andrea Pavone, hat sein Werk vollbracht. Die Steuerung der Firma ist bereits in der Hand der Mafia. Augenblicklich fordert sie von Ivano Beförderungen, die Verteilung der Subaufträge nach ihrem Gusto, politische Kontakte, öffentliche Ausschreibungen sowie Privataufträge. Ivano ist in die
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