Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
000 Stimmen zum Abgeordneter der Regionalversammlung in der Lombardei gewählt wurde, erscheint in den Akten der Anti-Mafia-Behörde wegen seiner Beziehungen zu Pino Neri, der zusammen mit Chiriaco verhaftet wurde und als Boss der örtlichen Mafia gilt. Neri habe Ciocca kontaktiert, damit dieser einen seiner Vertrauten bei den Kommunalwahlen unterstütze. Zudem wurde Ciocca zusammen mit Neri fotografiert.
In den Abhörprotokollen brüstet sich Neri damit, dass er Ciocca in »schöne Immobiliengeschäfte eingebunden« habe. Bis heute wurde keine Anklage gegen den
Lega-Nord
-Abgeordneten erhoben, der zum Zeitpunkt der Aufnahmen auf der Piazza Petrarca in Pavia Regionalabgeordneter der Partei war. Nach den Anschuldigungen des Kronzeugen Di Bella vermieden es Ciocca und Castelli daraufhin, gemeinsam abgelichtet zu werden.
Es herrschen finstere Beziehungen zwischen der Politik und der ’Ndrangheta in der Lombardei. Es sind Geschichten von den ungekrönten Königen des Gesundheitswesens. Von verwirrten Politikern, die auch dort auf Stimmenfang gehen, wo sie es eigentlich gar nicht dürften. Von skrupellosen Unternehmern, die im Luxus leben und auf Koks sind. Sie verschleudern öffentliche Gelder, während sie in Luxuskarossen herumfahren und Schmiergelder verteilen, um öffentliche Aufträge zu bekommen, um Beförderungen und medizinische Behandlung zu erlangen. Rechte, die eigentlich jedermann zustünden. Und die hier, wie im Süden, in den Ruch von Vergünstigungen und Vorzugsbehandlung gekommen sind.
Institutionelle Aktivitäten und Partikularinteressen bringen den freien Markt vom Weg ab. Eine perverse, brutale Osmose findet statt, die die Demokratie untergräbt. Diese zerbricht unter den wiederholten Schlägen einer skrupellosen Allianz zwischen Politik und Unternehmertum, die es den verschiedenen Mafien (’Ndrangheta, Cosa Nostra, Camorra etc.) seit 150 Jahren erlaubt, als selbständig handelnde Wirtschaftssubjekte aufzutreten, als integraler Teil des produktiven Wirtschaftssystems nicht nur Italiens.
Es ist kurz nach zwölf Uhr mittags an diesem 19. Juli 2010 in Mailand. Viele hoffen darauf, dass die Zeit wieder ihr frenetisches Tempo des mythischen Mailands aufnehmen möge. Die weiße Umrisszeichnung am Fuß des Treppenhauses wird in den nächsten Tagen bald verschwunden sein. Noch erinnert sie an gefährliche Verwicklungen und an Alpträume, die den Selbstmörder heimgesucht hatten. Sie gleicht dem Fingerabdruck jenes geschmeidigen lombardischen ’Ndrangheta-Systems, das seine Macht aus dem innersten Zentrum ihrer Hochburgen in Kalabrien bezieht und sich von dort aus nach Europa und in die ganze Welt ausbreitet. Wie ein Blutegel saugt die Mafia den vitalen Lebenssaft aus der Demokratie, blockiert sie die Spielräume der Wahlfreiheit. Sie zerrüttet die Regeln der Marktwirtschaft, zersetzt die Ethik mit der scharfen Säure ihrer Macht.
Pasquale Libri ist eines der Opfer dieses Systems. Ein Angeklagter, ein Verdächtiger. Freund und Spießgeselle der Mafiosi. Am Ende ist er tot. Ermordet oder aus freien Stücken. In jedem Fall ein Zeuge furchtbarer und abartiger Verbrechen. Mit Chiriaco hatte sich Pasquale in den abgehörten Gesprächen über die ’Ndrangheta unterhalten, über öffentliche Ausschreibungen und das Postengeschacher im lombardischen Gesundheitswesen. Libri war sowohl Beobachter als auch Akteur in diesem System. Er hat die ’Ndrangheta wachsen sehen, und hat miterlebt, wie sie sich die Region der ehemaligen moralischen Hauptstadt Italiens unter den Nagel riss, diese in einen Schraubstock zwängte und zudrehte. »Sicher ist nur, dass er tot ist«, schrieb Tommaso Besozzi 1950 in der Wochenzeitschrift
L’Europeo
über den berühmten Urahn der sizilianischen Mafia, Salvatore Giuliano, der von manchen auch als Märtyrer und Widerstandskämpfer angesehen wird.
Das Wurmnest, welches das hervorragende Gesundheitswesen der Lombardei in seinem Inneren birgt, ist derzeit nicht in Gefahr. Und seine Aktionsfreiheit ist ungebrochen.
8.
KALABRISCHE EXILANTEN
»Mit den Leuten aus Kalabrien, die auf unseren Baustellen arbeiten, sind wir sehr zufrieden. Niemand von denen macht Ärger.« Ivano weiß, dass man sich mit den Männern der ’Ndrangheta im Zweifelsfall besser gut stellt. Denn dank ihrer Mitwirkung wird auf den Baustellen in der Lombardei ohne größere Störungen gearbeitet. Eine Region, die schon in süßen Träumen von künftigem Geldsegen schwelgt. Gleichzeitig lauern die Verwalter riesiger
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