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Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)

Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)

Titel: Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni Tizian
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beispielsweise in den wiederholten Steueramnestien während der Berlusconi-Herrschaft gezeigt. Aber auch nicht verabschiedete Gesetze wie jenes zur Geldwäsche, die dadurch nicht im international üblichen Maße verfolgt werden kann, haben dazu beigetragen, dass der Einfluss der Mafia stetig wuchs.

9.
DER LOMBARDISCHE UNABHÄNGIGKEITSKÄMPFER
    Der Traum von der Unabhängigkeit endet für Carmelo »Nunzio« Novella am 14. Juli 2008 in San Vittore Olona, im tiefsten Hinterland der Lombardei. Umgestürzte Tische, Munitionshülsen und überall Blut. Der Schauplatz einer Hinrichtung. In dem Café-Club
Ex-Combattenti e Reduci
(dt.: Club der Veteranen und Versehrten) sieht es aus wie am Schauplatz eines Gangsterfilms. Die Exekution des Abtrünnigen ist ein Beispiel wie aus dem Bilderbuch für die pädagogischen Fähigkeiten der modernen ’Ndrangheta, die diese gern gegenüber desertierenden Statthaltern oder Kronzeugen anwendet. »Nunzio« gehörte unbestreitbar zu der ersten Kategorie. Machthungrig war er in dem Maße, wie sich die ehrlichen Kalabresen nach Gerechtigkeit sehnen.
    Zur Gruppe der Killer, die Novella ermordeten, zählte auch Antonio Belnome, der seit Oktober 2010 mit der Justiz zusammenarbeitet. »In der ’Ndrangheta hatte ich keine Zukunft«, erklärte er zu seinen Motiven, als Kronzeuge auszusagen. Die Staatsanwälte ergänzten, dass das interne Geschehen innerhalb der Organisation von Neid und Eifersucht bestimmt wird. Diese seien oft Vorboten für tödliche Auseinandersetzungen. Der Kronzeuge unterstrich, dass eine tendenziell unumkehrbare Entscheidung wie die, sich einer kriminellen Organisation mafiöser Art anzuschließen, weitreichende Auswirkungen auf das Privatleben habe. Außerdem fügte er hinzu, dass das »Lebensmodell«, das viele junge Handlanger der Mafia so stark anzieht, ein normales Familienleben kaum noch zulässt, da ständig die Verhaftung oder gar die Ermordung der betroffenen Mafiosi droht. »Man wird zum Opfer von Rachefeldzügen, an deren Entstehung man völlig unbeteiligt war. Wenn man sich vor Augen führt, dass die Entscheidung, sich der ’Ndrangheta anzuschließen, in der Regel vom Vater auf den Sohn übergeht, wollte Belnome in diesem Fall auch seine eigenen Söhne vor diesem traurigen Schicksal bewahren.«
    Der Kronzeuge berichtet den Ermittlungsbeamten von vier Mordanschlägen zwischen 2008 und 2010 in der Lombardei, an denen er beteiligt war. Belnome erzählt von Verbrechensabläufen und Rache nach Art der Mafia. Seinen Berichten zufolge gleicht die Lombardei mittlerweile Mafia-Hochburgen wie San Luca, Africo, Platì. Er sagte aus, dass »Nunzio« aus persönlichen Gründen erschossen wurde, wegen einer Beleidigung, einer »Nachlässigkeit« im Jargon der ’Ndrangheta, die die Mutter eines Clan-Angehörigen der Familie Gallace aus Guardavalle betraf. Die Bosse dieses Clans hätten abgewartet, bis »Nunzio« seine letzte Haftstrafe abgesessen hatte und wieder in seine Hochburg San Vittore Olona zurückkehrt war. Dann exekutierten sie das Todesurteil. Niemand hatte zuvor Verdacht geschöpft, dachten sie. Aber hinter dem Mord an »Nunzio« tat sich noch eine weitere Dimension auf, so die Meinung der Staatsanwälte. Denn natürlich konnte die Hinrichtung eines ’Ndrangheta-Statthalters nicht ohne das »Plazet« der
Provincia
, der obersten Koordinierungsbehörde in Reggio di Calabria stattfinden.
    Wie die Gallaces, so hatten auch einige aus der
Provincia
in letzter Zeit mit Sorge an das Verhalten ihres lombardischen Statthalters gedacht. Denn »Nunzio« hegte einen revolutionären Traum. Für seine Verhältnisse. Er wollte die ’Ndrangheta in der Lombardei vom »Mutterhaus« in Kalabrien lösen und zu einer eigenen, unabhängigen Organisation weiterentwickeln. Losgelöst von den Maßgaben und Direktiven der Zentrale, die als Herz und Hirn der ’Ndrangheta in Kalabrien gilt.
    »Ich bin der Boss der Bosse«, berauschte sich der Mafioso aus Guardavalle bei Catanzaro (Kalabrien). In der Lombardei fühlte er sich wie ein König. Er wurde als Regionalboss und zentrale Institution des organisierten Verbrechens in der Lombardei anerkannt. Seine Macht wuchs unaufhörlich. Bis zu seiner Verhaftung 2005. Er war während der Operation »Mythos« in den Fokus der Ermittler geraten, die von der Anti-Mafia-Behörde von Catanzaro koordiniert wurde. »Nunzio« sah das zunächst als Bagatelle an, Berufsrisiko für einen Boss wie ihn. 2007 kam er wieder frei, da die Staatsanwaltschaft die

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