Mafiatochter
weil er mächtig war und etwas kontrollierte. Von dem Augenblick an, als Paul Castellano ermordet wurde, stand mein Vater zusammen mit John im Rampenlicht. Er war der Typ, der den Sonnenschirm trug, wenn John auf die Straße ging. Er war der Zweite in der Rangordnung und half, die mächtigste Mafiafamilie New Yorks zu führen.
Zum ersten Mal begegnete ich John Gotti auf der Party zu meinem sechzehnten Geburtstag. Zuvor hatte ich ihn einige Male im Büro meines Vaters an der Stillwell Avenue gesehen, aber nun wurden wir einander offiziell vorgestellt. Die Feier fand im Pastels in Brooklyn statt, einem bekannten Mafia-Treff. Aus gegebenem Anlass trug ich ein maßgeschneidertes rosafarbenes Lederkleid. Es saß ziemlich eng und besaß einen herzförmigen Ausschnitt; dazu hatte ich eine passende rosa Lederjacke. Ich vervollständigte den Look mit einem Paar rosa High Heels. Ich ließ mich professionell frisieren, damit mein Haar so viel Fülle bekam wie irgend möglich. Mein Vater warnte mich vor, dass John kommen werde. »Wenn du John siehst, sei bloß höflich und denk an deine Manieren«, schärfte er mir ein. Etwa fünfzig Teenager und sechzig Männer mit ihren Familien waren auf der Party. Unter meinen fünfzig Freunden waren Kusinen, Klassenkameraden von der Staten Island Academy und Schulfreunde vom Leggett Place. Papas sechzig Männerfreunde waren allesamt Mafiosi.
Papa engagierte einen DJ, der eine persönliche Songauswahl von mir spielte, und einen Videofotografen. Erst, als ich nach der Party zusammen mit meinen Freundinnen das Video ansah, wurde mir klar, dass der Fotograf stank. Das gesamte Material war auf der Tanzfläche gedreht, sonst gab es nichts zu sehen. Ich beschwerte mich bei Papa, der mir jedoch mitteilte, dass alles in Ordnung sei. Er hatte dem Typen gesagt, er solle die versenkte Tanzfläche nicht verlassen und nicht bei den Tischen drehen. So bekam er die bei der Feier anwesenden Top-Mafiosi nicht vor die Kamera. Nach der Hälfte der Party ging ein Raunen durch die Menge. »John Gotti ist hier«, flüsterten sich meine Klassenkameraden aufgeregt zu, als hätte ich eine Berühmtheit unter meinen Gästen. Mein Vater nahm John mit an die Bar, wo ich gerade mit ein paar Freunden stand, und sagte: »Sag deinem Onkel John guten Tag.«
Ich hatte nicht mal einen Onkel namens John. Ich gab ihm einen Kuss auf die Wange. Der Don lächelte, gratulierte mir dazu, dass ich älter geworden war, und reichte mir einen Umschlag mit zehn nagelneuen Hundertdollarnoten.
Er war vollkommen anders als mein Vater. Er war nüchtern und gefasst, nicht im Mindesten warmherzig und fröhlich; kein lockerer Typ, sondern sehr ernst. Man musste ihn umsorgen und verehren. Ich machte meiner Erziehung alle Ehre, wie mir mein Vater gesagt hatte. Als er sich in ein Hinterzimmer zurückzog, wo sich all die anderen Mafiosi aufhielten, war ich jedoch sehr erleichtert.
Ein paar Tage darauf fand ich einen Zettel, den jemand an meinen Spind in der Schule geklebt hatte. Darauf stand: »Ich höre, du hast eine nette Geburtstagsparty gehabt. Muss toll sein, wenn man eine Mafiaprinzessin ist.« Die Nachricht war nicht unterzeichnet. Ich dachte, es sei vielleicht ein Mädchen gewesen, dessen Freund mich mochte, aber ich war nicht sicher. Außerdem wusste ich nicht, ob es als Kompliment oder als Beleidigung gemeint war. Ich fand, dass mein Vater unter den Gangstern eine große Nummer war, doch dieser »Adel« beschränkte sich ganz und gar auf ihn.
Ich fühlte mich auf der Staten Island Academy nie so recht wohl. Ich kleidete mich zwar wie die anderen Jugendlichen, rannte mit Fendi-Taschen herum und so weiter, aber ich fühlte mich nie zugehörig.
Als ich zwölf war, schenkte jemand meinem Vater eine Gucci-Tasche, die er an mich weitergab. Ich fand das Ding grässlich und sagte ihm, dass ich es nicht haben wolle. Er aber sagte: »Sie kommt aus Italien. Sie gilt als sehr stilvoll.« Ein paar Jahre vergingen, und alle meine Freundinnen hatten plötzlich Gucci-Taschen. Da fragte ich meine Mutter, was denn aus meiner geworden sei.
»Ich dachte, sie gefällt dir nicht«, antwortete sie und sagte, sie habe sie verschenkt.
»Jetzt brauche ich sie aber«, sagte ich im Brustton der Überzeugung. »Alle an der Schule haben eine.«
»Weißt du was – du bekommst trotzdem keine«, sagte meine Mutter. »Man braucht nicht irgendetwas, weil es alle anderen haben. Man bekommt etwas, weil man es selbst will.«
Also ging ich am nächsten Tag zur
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