Mafiatochter
war trotzdem in Ordnung. Die Schule war sehr klein und gemütlich und fast so etwas wie ein Familienbetrieb. Mister White war der Dekan, Miss White die Lehrerin und Mrs. White das Mädchen für alles.
Mein Bruder war ein stilles Kind, obgleich er recht ungezogen war. Wie mein Vater hatte auch er eine schwere Rechtschreibschwäche. Meine Mutter weinte und raufte sich die Haare, wenn sie ihm zu helfen versuchte. Er war immer im Förderunterricht und musste zu Hause privaten Nachhilfeunterricht nehmen. Häufig reagierte er sich in der Schule ab. Er war bereits in der ersten Klasse sitzen geblieben. Erst, als er die Privatschule besuchte, fanden wir heraus, was wirklich mit ihm los war.
Meine Mutter nahm Gerard immer in Schutz. Sie wollte nicht eingestehen, dass er Legastheniker war, also erledigte sie die Schularbeiten für ihn. In der Schule verhielt er sich auffällig. So ging er etwa zur Toilette und kehrte nie zurück, oder er zettelte Schlägereien an, wie es schon mein Vater getan hatte, als er Schwierigkeiten in der Schule gehabt hatte. Mein Vater hatte mir von seinen eigenen Problemen in der Schule erzählt. Er war aufgrund seiner Legasthenie als lernschwach gebrandmarkt worden. Damals wurde Legasthenie nicht erkannt, geschweige denn als Behinderung betrachtet. Mein Vater ging in der achten Klasse lieber von der Schule ab, als weiter den Spott zu ertragen, dem er seitens seiner Lehrer und Klassenkameraden ausgesetzt war.
Als die Lehrer Papa mitteilten, dass Gerard Legastheniker sei, war er zutiefst bestürzt. Er tat alles, was in seiner Macht stand, um seinem Sohn bei der Überwindung seiner Rechtschreibschwäche zu helfen. Er engagierte Spezialisten, Lehrer und Ärzte, die sich um ihn kümmern sollten. Trotzdem war er sehr streng mit Gerard und drängte ihn, er solle sich mehr anstrengen. Er wollte nicht, dass Gerard in seine Fußstapfen trat. Vielmehr sollte er mit »dem Leben« möglichst wenig zu tun haben.
Ich erinnere mich noch, wie Papa den armen Jungen einmal regelrecht terrorisierte. In unserem Garten an der Lamberts Lane hatten wir hinter dem Haus einen eingelassenen Pool, der viele Tauben anzog. Sie landeten auf der Terrasse und hinterließen dort ihren Vogelkot.
Papa hasste die nervigen, schmutzigen Vögel leidenschaftlich. Er rannte nach drinnen, schnappte sich ein Luftgewehr und schoss einen Vogel nach dem anderen ab. Gerard war damals etwa dreizehn Jahre alt. Voller Entsetzen sah er zu, wie die toten Vögel vom Himmel auf den Zementboden fielen, wenngleich er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Als mein Vater ihm das Gewehr reichte und sagte, nun sei er an der Reihe, erstarrte er. »Schieß!«, befahl mein Vater. Gerard wollte nicht, dass mein Vater ihn für einen Feigling hielt, also zielte er und schoss. Er traf den Vogel zwar, tötete ihn jedoch nicht. Kreischend und flatternd zappelte das Tier auf der Terrasse umher.
»Töte das Scheißvieh!«, rief mein Vater.
Gerard stand wie angewurzelt da. Er liebte Tiere, also konnte er den Anblick des leidenden Vogels nicht ertragen. Gleichzeitig konnte er sich aber auch nicht überwinden, ein zweites Mal den Abzug zu betätigen.
Mein Vater riss ihm das Gewehr aus der Hand und nahm sich der Sache an. Rasch war der Vogel von seinem Leiden erlöst. »Ist schon in Ordnung, mein Sohn«, sagte er und klopfte Gerard mitfühlend auf die Schulter. Er war nicht böse auf ihn, sagte aber immer, Gerard sei »für das Leben nicht gemacht«. Ich hingegen war ganz anders. Hätte Papa mir an jenem Tag das Gewehr in die Hand gedrückt, hätte ich sechzig Tauben abgeknallt. Ich war aber das Mädchen, also wurde es von mir nicht erwartet.
Außerhalb der Schule war Gerard ein richtig netter Junge. Er widersprach nie meinen Eltern und war sehr gehorsam. Wenn meine Eltern sagten, er solle zu einer bestimmten Zeit zu Hause sein, war er stets pünktlich. Ich war der Rebell, nicht Gerard.
Einmal stahlen meine Freundin Jackie und ich in der Schule Kleider aus dem Spind unserer Klassenkameradin Lisa Bongiorno. Wir gingen zu Jackie und zogen die Kleider an, die wir gerade gestohlen hatten. Da klingelte es, und Jackie machte auf. In der Tür stand Lisa Bongiorno. »Nette Klamotten«, sagte sie.
Ich knallte ihr einfach die Tür vor der Nase zu. »Oh je, jetzt stecken wir aber in Schwierigkeiten«, sagte ich zu Jackie.
Lisa ging zurück zur Schule und erzählte es dem Rektor.
Ich ging nach Hause, weil ich genau wusste, was für Probleme wir nun hatten.
Ich traf
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