Mafiatochter
versucht, Frankies leblosen Körper aus dem brennenden Wagen zu ziehen. Er griff nach seinem Freund, wie er dachte, hatte aber nur zwei abgetrennte Körperteile in den Händen – ein Bein und einen Arm.
Als Papa aus der Dusche kam, fragte ich ihn: »Könnte es passieren, dass du stirbst oder ermordet wirst?«
»Ja«, antwortete er. »Wenn ich getötet werden sollte, dann möchte ich, dass ihr genauso weiterlebt wie jetzt. Ich will, dass du für deine Mutter da bist. Ich will, dass du hilfst, deinen Bruder zu erziehen, und ich will, dass du begreifst, dass ich dieses Leben freiwillig gewählt habe. Deswegen ist es für mich so wichtig, dass du und dein Bruder zur Schule gehen und ihr euch ein anderes Leben aufbaut. Ich liebe dich und möchte nicht, dass du dir jeden Tag Sorgen um mich machst. Mir wird schon nichts passieren.«
Ganz offensichtlich war er sehr aufgebracht. Er war mit Frankie eng befreundet gewesen, doch so war eben das Geschäft. Als ich noch ein Kind war, konnte er mir den Kopf tätscheln und solche Dinge überspielen. Er musste mir nicht antworten, aber er respektierte mich; also erzählte er mir, was er konnte. Ihm war bewusst, dass ich diese Männer kannte, seit ich ein kleines Kind war. Für mich gehörten sie zur Familie. Er wusste auch, dass ich ein Teil dieser Welt war, wie sehr er auch bemüht war, mich vor ihr zu behüten. Er wusste, dass ich mich um ihn sorgte. Mama und Papa gingen zu Frankies Beerdigung, ich nicht.
Nach Frankies Tod wurde Papa zur Nummer zwei befördert. Er war nun der Unterboss.
Papas schlechter Ruf hatte eine unangenehme Kehrseite. Offenbar waren die Leute auf dem Hügel und unsere Freunde in Bulls Head hinsichtlich seines Mafiastatus unterschiedlicher Meinung. Die Leute aus Bulls Head hielten ihn für eine Berühmtheit und fanden ihn cool; die Leute in Todt Hill sahen in ihm einen Emporkömmling und lehnten ihn ab. Was sie über ihn dachten, bestimmte auch ihre Haltung gegenüber unserer gesamten Familie.
Gerard war der Erste, der diese Ablehnung zu spüren bekam. Es gefiel ihm eigentlich nie so recht auf Todt Hill. Als er neun oder zehn war, trieben er und ein paar Freunde in einem Viertel, wo einige neue Wohnhäuser errichtet wurden, mit Knallfröschen Unfug. Ein paar Blätter fingen Feuer, und Gerard schob man die Schuld in die Schuhe.
Einige Jahre später, als das Bild meines Vaters allzu regelmäßig in der Zeitung zu sehen war, hing mein Bruder eines Tages zu Hause herum und wirkte gelangweilt. Mama schlug vor, er könne doch hinausgehen und mit einem anderen Jungen auf der Straße spielen, David, der etwa in Gerards Alter war und nur ein paar Häuser weiter lebte.
»David darf nicht mit mir spielen, weil Papa ein Gangster ist«, erzählte ihr Gerard.
Meine Mutter war zutiefst verletzt. Als sie Davids Mutter darauf ansprach, tat die Frau ganz betroffen. »So erziehen wir unsere Kinder nicht«, sagte sie zu Mama. Aus ihrem Verhalten schloss Mama jedoch, dass ihre Kinder nicht mit Gerard spielen sollten. Sie gehörte zu jenen Menschen, die sich für etwas Besseres hielten. Ich bin sicher, dass ein Gangsterkind in ihren Augen keinen guten Spielgefährten für ihren Sohn abgab.
Nach diesem Zwischenfall sagte Mama zu meinem Vater, sie wolle zurück nach Bulls Head ziehen. »Weißt du, Sammy, ich finde, wir sollten hier nicht wohnen bleiben«, hörte ich sie zu Papa sagen. »Ich habe das Gefühl, wir passen nicht hierher, zu diesen ganzen Leuten, die im Pelzmantel in ihren teuren Autos herumfahren. Das bin nicht ich.«
Papa wollte, dass sie sich wohl fühlte, also willigte er ein. Er hatte sich längst damit abgefunden, dass er ein Gangster war, also wollte er, dass wir erhobenen Hauptes durchs Leben gingen. Ich glaube, er war ebenso wie Mama bereit, wegzuziehen. Todt Hill war nicht unser Ding. Mein Vater liebte das Haus, aber er hatte Mitleid mit Mama und fand auch, dass wir nicht dorthin passten.
Es gab aber noch einen anderen Grund, warum wir umziehen mussten. Nach dem Tod von Paul Castellano und Frankie wurde es immer wahrscheinlicher, dass auch Papa irgendwann eine Kugel abbekam. Unser Haus war für jedermann leicht zugänglich; es hatte zu viele Fenster, war von Bäumen umgeben und lag in einer sehr schmalen Straße. Jeder, der zu meinem Vater wollte, konnte dies leicht bewerkstelligen und ungesehen wieder verschwinden. Er war sich bewusst, dass er ermordet werden könnte. Aber bevor ihm irgendetwas zustieß, wollte er dafür sorgen, dass Mama in einer
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