Mafiatochter
konnte. Irgendwann würde man mich schnappen, also zog ich im Oktober 1998 zu meiner Familie nach Phoenix. Es sollte meine neue Welt und ein Neuanfang für uns alle werden, nun, da auch Papa dort lebte. Als Familie hatten die Gravanos eine ganze Menge Kummer, Schmerz und Verrat durchgemacht. Ich sehnte mich nach ein wenig Ruhe und Geborgenheit.
Es war irre, dass man mich einmal dazu aufgefordert hatte, meinem Vater nahe zu legen, er solle sich umbringen, und noch viel irrer, dass ich über diese Anweisung tatsächlich nachgedacht hatte – totaler Wahnsinn. Doch damals waren solche Gespräche an der Tagesordnung gewesen. Nun war ich auf der Suche nach einer anderen Normalität.
Jennifer dachte, ich wäre nur auf Besuch in Phoenix und würde – als Bilderbuch-New-Yorkerin, die ich war – bald wieder in ihre Wohnung in Bayside zurückkehren. Als ich in Arizona ankam, war selbst ich fest davon überzeugt, dass es nur für eine begrenzte Zeit wäre.
Ich konnte mir für meine Zukunft vieles vorstellen. Auf jeden Fall aber hatte ich vor, nach New York zurückzukehren oder vielleicht in Los Angeles zu leben.
Meine Mutter holte mich vom Flughafen ab. Als wir an jenem ersten Tag vor Mamas prächtigem neuen Haus anhielten, begrüßte mich Papa dort am Straßenrand. Als er aus Boulder hierher gekommen war, hatte er meiner Mutter ein neues Haus gekauft und es komplett umgebaut, weil er wollte, dass sie sich wohl fühlte. Es verfügte über mehr als vierhundert Quadratmeter Wohnfläche und einen eingelassenen Pool. Er selbst hatte eine Wohnung irgendwo in der Nähe und war nur zu meiner Rückkehr hergekommen.
»Willkommen zu Hause, Kindchen«, strahlte er. »Wir haben dein Zimmer bereits fertig. Willst du es sehen?«
»Ich bleibe nicht für immer«, entgegnete ich. »Das ist nicht mein Zuhause.«
Darauf sah er mich an, als wollte er mir den Arsch aufreißen, aber er sagte nichts. Auch Gerard erwartete mich mit seinem neuen Baby. Seine Freundin Mallory hatte in jenem Mai ihren Sohn Nicholas zur Welt gebracht, und ich war schon sehr gespannt, ihn kennen zu lernen. Ich hatte ihn nicht mehr gesehen, seit ich anlässlich seiner Geburt vor fünf Monaten kurz nach Phoenix geflogen war. Mein Bruder hatte mich seitdem über die wichtigsten Schritte in der Entwicklung seines Babys auf dem Laufenden gehalten.
So gerne ich glücklich gewesen wäre, schaffte ich es doch nicht, dass es mir gut ging. Ich wusste nicht, wie ich meinen Zorn überwinden und mich wieder einfinden sollte. Ich war gemein, sarkastisch und streitsüchtig.
Als wir zu Abend aßen, fühlte ich mich wieder wie zu Hause, wollte es meinen Eltern aber nicht zeigen.
Nach dem Abendessen sagte Papa: »Komm, wir machen einen kleinen Spaziergang.« Er hatte hinter dem Haus einen Rosengarten mit einer kleinen Sitzbank angelegt. »Hast du je Der Pate gesehen?«, fragte er mich. »Die Szene mit Michael Corleone im Rosengarten?«
Warum will er das wissen, fragte ich mich.
»Ich weiß, wie schwer es ist, hierher zu ziehen. Auch ich vermisse New York. Aber bitte, vertrau mir. Ich blicke nach vorn und möchte dir und deinem Bruder eine Chance im Leben geben. Wenn mir das gelänge, wenn ich einen neuen Weg für uns finden würde, dann würde mich das sehr glücklich machen.«
Ich wollte das nicht hören. Ich wollte einfach, dass er Sammy the Bull war, der Gangster.
»Ich weiß, du glaubst, dass ich mich verändert habe«, fuhr Papa fort. »Aber, um ganz ehrlich zu dir zu sein – ich werde immer Sammy the Bull bleiben. Ich glaube, du verstehst nicht, wer Sammy ist. Ich muss nicht in New York sein, mich von Leuten herumkutschieren und mich bewundern lassen, um zu sein, wer ich bin. Ich versuche, einen neuen Weg einzuschlagen.«
Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, zog Papa eine Waffe hervor. »Ich werde immer Sammy the Bull sein«, sagte er. »ich habe mich nicht verändert. Ich bin immer noch der Alte.«
Ich glaube, er wollte mir damit sagen, dass er sich nicht geändert hatte, obwohl er inzwischen nichts mehr mit der Mafia zu tun hatte. Wenn sich seine Feinde an ihm rächen wollten und das sein Schicksal sein sollte, wäre er bereit. Doch galt sein Hauptaugenmerk etwas ganz Anderem: Er wollte uns allen helfen, unser Leben wieder in den Griff zu bekommen und eine neue Existenz aufzubauen.
»Ich bin kein Feigling«, sagte er. »Ich werde nicht davonlaufen, sondern meinen Mann stehen, wenn es sein muss, denn so bin ich nun mal.«
»Ich kann verstehen, dass du aufgrund
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