Mafiatochter
Obwohl ich selbst nicht in Schwierigkeiten geriet, fühlte ich mich mies, dass ich für die Verhaftung meines Bruders verantwortlich war.
Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, kam jedoch an dem Tag, als ich eine Auslieferung in einer Zeitschriftenredaktion machte, wo einige meiner Kunden angestellt waren. Es kursierten bereits allerlei Gerüchte, dass die Tochter von Sammy the Bull einen Marihuana-Service betrieb. Einer unserer Kunden, ein Redakteur, der mich als »Gina« kannte, sah mich, als ich eintrat. Wir hatten uns miteinander angefreundet und plauderten immer ein wenig, wenn ich vorbeikam.
Als ich mich an jenem Tag zum Gehen anschickte, verblüffte er mich, weil er mich nicht mit meinem Pseudonym ansprach. »Gut, Fräulein Gravano«, sagte er, »dann bis zum nächsten Mal.«
»Okay, tschüss«, sagte ich und wollte schon zur Tür gehen, als ich mich umwandte und ihn verwundert ansah. »Moment mal, was hast du gesagt?«
»Es geht das Gerücht, dass Sammys Tochter einen Gras-Service betreibt.«
»Das bin nicht ich«, beharrte ich.
»Na gut, Karen – ich darf doch Karen zu dir sagen?« Die Situation wurde langsam unangenehm für mich. »Sieh mal, ich weiß nicht, warum du das machst«, sagte er. »In dir steckt doch so viel mehr.« Offenbar meinte er es gut. Er riet mir zur Vorsicht und fand, ich könne etwas Besseres mit meinem Leben anfangen. »Wenn sie dich schnappen, sperren sie dich ewig in den Knast – bei deinem Nachnamen«, warnte er mich.
Ich hatte gedacht, dass es mir gelungen wäre, meine Familiengeschichte geheim zu halten, doch die Kombination aus Ruhm und Stigma, die dem Namen Gravano anhaftete, verfolgte mich überall hin. Es war mir nie in den Sinn gekommen, ein ganz normales Leben zu führen, doch die Worte meines Bekannten machten mich nachdenklich.
Außerdem war das Drogengeschäft alles andere als ein risikofreies Gewerbe. Es wurde zunehmend gefährlicher, den Gras-Service zu unterhalten. Zunächst einmal waren da die anderen Anbieter, die mit uns konkurrierten.
Anfangs hatten alle bei uns angerufen, weil für uns ausschließlich Mädchen arbeiteten. Inzwischen jedoch bestellten die Kunden bei zwei Lieferanten gleichzeitig und kauften von dem Boten, der als erster eintraf. Einige unserer Boten wurden ausgeraubt. Die Leute fingen an, sich gegenseitig auszurauben. Eines Abends wurde Christina mit einem Messer bedroht. Ich stand daneben. Zum Glück wurden wir nur ausgeraubt, und niemand wurde verletzt. Wir machten uns aber vor Angst beinahe in die Hose.
Wir hielten es daher für das Beste, ein paar Muskeln mit an Bord zu nehmen. Von da an gaben uns Dave und einige seiner Freunde Rückendeckung. Dave war nicht wie meine bisherigen Freunde, die von der Mafia und vom Gangsterleben besessen gewesen waren. Das Ganze schien ihn nicht zu interessieren. Das mochte ich. In unserer Beziehung ging es also um mich, nicht um Papa.
Die Jungs mit hinzuzuziehen, führte indes zu noch mehr Schwierigkeiten und Konfrontationen. Die Auseinandersetzungen wurden schlimmer. Als reinen Mädchen-Service hatte man uns im Großen und Ganzen in Ruhe gelassen, doch nun war alles möglich.
Eines Abends waren wir in einem Nachtclub, als es zu einer heftigen Auseinandersetzung kam. Am Ende wollten die Bullen mit Christina sprechen. Sie hatten mitbekommen, dass es bei dem Streit um unseren Marihuana-Service gegangen war. Obwohl man Christina zum Verhör mit aufs Polizeirevier nahm, weigerte sie sich, mit den Beamten zu reden. Sie konnten ihr nichts Konkretes vorwerfen und mussten sie schließlich gehen lassen.
Unsere größte Sorge waren ohnehin nicht die Bullen, sondern unsere Väter. Wir wollten nicht, dass unsere Väter herausfanden, was wir taten. Wir wussten, wie enttäuscht sie wären.
Insgesamt jedoch machte die Sache keinen Spaß mehr. Allzu oft schlitterten wir nur mit knapper Not an einer Katastrophe vorbei. Mir wurde langsam klar, dass die Zeit gekommen war, wo ich selbst die Verantwortung für mein Handeln übernehmen musste, so gerne ich auch meinen Vater für alles verantwortlich machte, was in meinem Leben schief lief. Es war Zeit, dass ich endlich erwachsen wurde.
Eines Morgens erwachte ich und beschloss, dass ich mit New York fertig sei. Ich war siebenundzwanzig, vermisste meine Familie und wusste nicht, was ich eigentlich wollte. Christina hatte einen College-Abschluss, also standen ihr neben dem Grashandel viele Möglichkeiten offen. Ich wusste, dass ich nicht ewig so weitermachen
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