Mafiatochter
deiner Erziehung denkst, es gäbe keinen anderen Weg«, sagte Papa. Er versuchte mir zu zeigen, dass mir auch außerhalb von New York viele Möglichkeiten offen standen. Doch das begriff ich noch nicht. Ich war immer noch stur und nicht vollständig bereit, ein neues Leben zu beginnen. Meine Antworten waren immer noch ein wenig barsch.
In diesem Moment hätte er mir die Leviten lesen sollen. Mein Vater hatte es nie zugelassen, dass ich so mit ihm redete, aber ich glaube, in seiner Elternrolle hörte er nun einfach zu und ließ mich meinen Ärger abladen. Nur ein Teil von mir hatte nach Phoenix kommen wollen, ein anderer war noch nicht bereit dazu.
Papa wollte dafür sorgen, dass ich beschäftigt war und nicht an New York dachte. Am nächsten Morgen schaute er in Mamas Haus vorbei und nahm mich mit zum Einkaufen. Ich bekam eine komplette Kosmetikerinnen-Ausrüstung. Er kaufte mir eine Liege, einen Dämpfer, einen Tisch, und was ich sonst noch brauchte, um in Gerards ehemaligem Zimmer in Mamas Haus Gesichtskosmetik anzubieten.
Mein Bruder war ausgezogen und lebte mit seiner Freundin und dem Neugeborenen ein paar Häuser von uns entfernt. Einige Tage später fand ich eine Stelle in einem örtlichen Kosmetiksalon, wo ich Gesichtsmasken und Körperbehandlungen machte.
Papas kleines Einzimmer-Apartment lag in einer benachbarten Stadt. Er lebte dort mit seinem neuen Hund Petie Boy, den er sich besorgt hatte, nachdem sein erster Hund Petie in Boulder vom Balkon gefallen und in den Tod gestürzt war. Weder mein Vater noch meine Mutter sahen sich nach einem neuen Partner um, doch fanden sie als Paar auch nicht mehr zusammen. Trotzdem blieben sie Freunde. Beide lebten in Phoenix, aber in getrennten Haushalten. Mein Vater hielt es für wichtig, in unserer Nähe zu sein, wollte jedoch eine gewisse Distanz halten.
Als ich etwas über eine Woche in Phoenix war, redeten Papa und ich beim Abendessen endlich Klartext miteinander. Wir gingen zu seinem Lieblings-Italiener, nur wir beide. Das Restaurant war schick und lag ein wenig versteckt in einem alten Haus in Tempe, nicht weit vom College entfernt. Ich hatte Mama und Gerard gesagt, dass ich mit Papa allein zu Abend essen wolle. Ich hatte so viele Fragen; einige davon hatte ich ihm schon stellen wollen, als ich noch ein Kind war. Er war es gewesen, der das Schweigegelübde gebrochen hatte, also fand ich, dass ich ihn nunmehr alles fragen könne, was ich wollte – auch nach jenen Dingen, über die sich Mama so respektvoll in Schweigen gehüllt hatte.
»Ich möchte, dass du nicht als Sammy the Bull oder Jimmy Moran mit mir sprichst, sondern als mein Vater«, sagte ich zu ihm geradeheraus.
Ich fragte ihn, wie es sei, jemanden zu töten. Seine Antwort haute mich völlig aus den Socken.
»Beim ersten Mal war es überraschenderweise wie ein Rausch«, sagte er. »Es war ein total verrücktes Gefühl, weil ich keinerlei Reue empfand. Ich hatte einfach nur ein starkes Machtgefühl.«
»Bereust du heute etwas?«, fragte ich.
»Ich bereue nicht, wer ich bin. Obwohl es in meinem Leben Dinge gegeben hat, die ich nicht gerne getan habe, so weiß ich doch, warum ich sie getan habe und dass ich mit ihnen leben muss. Um deine Frage also zu beantworten: Ich bereue nichts, sondern ich lebe in der Realität. Reue muss man überwinden. Das ist das Leben, das ich gewählt habe. Wenn es sein müsste, könnte ich morgen wieder jemanden umbringen. Ich versuche, einen neuen Pfad zu beschreiten, aber ich werde immer Sammy the Bull bleiben.«
Papa erzählte mir vom Leben in der Mafia und den Regeln, nach denen sie hatten leben sollen. »Wenn es hundert Regeln gibt, dann haben wir neunundneunzig davon gebrochen«, sagte er.
Ich erzählte ihm von meinem Marihuana-Handel. Es belustigte ihn ein wenig, dann aber sagte er, er sei froh, dass ich aus der Geschichte draußen sei. Schließlich gestand ich, dass ich daran schuld sei, dass Gerard verhaftet worden sei, als er mir das Pfund Gras nach New York hatte schicken sollen. Er tadelte mich, zeigte aber auch Verständnis.
Wir redeten zwar über viele Dinge, doch am schwersten war es für ihn, über meinen Onkel Nicky zu sprechen, also schnitten wir dieses Thema nicht an.
Papa sagte, er glaube, dass ihm die Mafia wichtiger als seine eigene Familie gewesen sei. Nun jedoch sei er bereit, seine echte Familie über seine Cosa-Nostra-Familie zu stellen. Ich hatte das Gefühl, endlich den wahren Charakter meines Vaters zu erkennen. Ich begriff, dass er ein
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