Magazine of Fantasy and Science Fiction 10 - Wanderer durch Zeit und Raum
nickte und sagte ernst:
»Und er hat noch zu jemand gesprochen, Charles ...«
Während des nun folgenden Monats verbrachte ich immer weniger Zeit im Büro. Meist war ich unterwegs, besuchte die Auktionssäle und Ausstellungen und forschte nach dem Geheimnisvollen von dem ich nun nahezu sicher war, ihn schon einmal gesehen zu haben. Ohne diese Überzeugung hätte ich Georges Theorie längst vergessen, aber es kam noch etwas anderes hinzu. Ich hatte mich vorsichtig in meinem Bekanntenkreis erkundigt und eine Beschreibung gegeben. Zwei meiner Bekannten konnten sich vage an eine Person erinnern, auf die meine Beschreibung paßte. Der gestohlene Leonardo tauchte nicht wieder auf. Polizei und Experten standen weiterhin vor einem Rätsel.
Fünf Wochen später erhielt ich ein Telegramm aus Paris. Sein Inhalt erleichterte mich, zugleich aber wühlte er mich bis ins Innerste auf: Der Text lautete: »CHARLES KOMME SOFORT NACH PARIS STOP ICH HABE IHN GESEHEN STOP GEORGE DE STAËL.«
Als ich diesmal mit dem Taxi durch die Tuilerien fuhr, war es nicht nur Zeitvertreib für mich, die in den Gärten spazierengehenden Passanten zu beobachten, sondern ich suchte einen ganz bestimmten Mann mit dunkler Gesichtsfarbe und schwarzen Augen.
Vielleicht trug er sogar eine zusammengerollte Leinwand unter dem Arm. Und eine einzige Frage beschäftigte mich: war George nun endgültig verrückt geworden, oder hatte er tatsächlich das Phantom Ahasver gesehen?
Als er mich dann begrüßte und mir die Hand schüttelte, geschah das mit der gleichen Herzlichkeit wie immer. Der Druck seiner Hand war fest, sein Gesicht ruhig und gefaßt. Als wir endlich in seinem Büro Platz genommen hatten, sah er mich über seine Fingerspitzen hinweg an und lächelte. Er ließ sich Zeit und spannte mich auf die Folter.
»Er ist in Paris«, sagte er dann. »Im Hotel Ritz. Er besucht die Versteigerungen von Gemälden aus dem neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert. Wenn wir Glück haben, begegnen wir ihm heute nachmittag.«
Noch einmal stiegen Zweifel in mir hoch, aber ehe ich sie aussprechen konnte, fuhr George fort:
»Er ist genauso, wie wir erwarteten, Charles. Groß und breitschultrig gebaut, aber nicht plump oder dick. Die Sorte Mann, die sich gut und sicher unter den Reichen zu bewegen versteht. Leonardo und Holbein haben ihn naturgetreu erwischt; den Ausdruck seines Gesichtes, die Augen; die Atmosphäre von Wüstensand und Gebirgsschluchten; die von ihm ausgeht.«
»Wann sahst du ihn zum erstenmal?«
»Gestern nachmittag. Der Verkauf neunzehntes Jahrhundert war fast beendet als ein kleiner Van Gogh angeboten wurde – eine minderwertige Kopie des Malers vom ›Guten Samariter‹. Es muß eins seiner letzten Bilder gewesen sein, denn es zeugte schon von der beginnenden Krankheit. Die Figuren wirkten verzerrt und undeutlich, aber das Gesicht des Samariters war gut zu erkennen. Es erinnerte mich sofort an Ahasver. In diesem Augenblick faßte ich die Menge der Käufer und Zuschauer genauer ins Auge.« George beugte sich vor. »Da sah ich ihn. Keine drei Meter von mir entfernt in der ersten Reihe. Unsere Blicke kreuzten sich, und es fiel mir schwer, in eine andere Richtung zu sehen. Die Versteigerung des Bildes begann, und er ging bis zweitausend Francs.«
»Er kaufte das Bild?«
»Nein. Zum Glück faßte ich mich schnell genug. Ich mußte sicher sein, den richtigen Mann gefunden zu haben. Bisher hatten wir ihn nur auf Kreuzigungen gefunden, aber es scheint so, daß er auch in anderen Rollen auftauchte, um sein Gewissen zu entlasten. Diesmal als barmherziger Samariter. Bei fünfzehntausend griff ich ein. Das Bild wurde auf meine Anweisung hin zurückgezogen. Ich bin sicher, er wird heute wieder erscheinen, wenn er Ahasver ist. Ich hatte also vierundzwanzig Stunden Zeit, die Polizei und dich zu informieren. Zwei von Carnots Leuten werden heute nachmittag zur Stelle sein. Sie sind unvoreingenommen und haben keine Ahnung von unserer Theorie. Natürlich hielten mich die Leute für verrückt, als ich das Bild zurückzog. Unser dunkelhäutiger Freund sprang auf und wollte den Grund wissen. Ich sagte ihm, mir seien plötzlich Zweifel an der Echtheit des Gemäldes gekommen und ich könne das Ansehen der Galerie nicht aufs Spiel setzen. Ich wolle es noch einmal prüfen lassen. Wenn ich überzeugt sei, fügte ich hinzu, einen echten Van Gogh vor mir zu haben, würde ich es heute nachmittag erneut bei der Auktion anbieten lassen.«
»Nicht schlecht
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