Magazine of Fantasy and Science Fiction 23 - Am Tag vor der Ewigkeit
Mord handeln, als eine unerklärliche Wunde im Mund des Toten entdeckt wurde. Das bisher nicht identifizierte Opfer war etwa dreißig und trug die Uniform eines Majors der UNO-Friedensstreitkräfte. Das UNO-Hauptquartier hat bisher jeglichen Kommentar in dieser Sache abgelehnt. (IP)
Der nächste Zeitungsausschnitt war zwei Spalten breit und begann mit der Schlagzeile: MANN AUF OFFENER STRASSE ERSCHOSSEN. Darunter wurde berichtet, daß ein grauer Monojag kurz vor Redaktionsschluß am Haupteingang des Waldorf Astoria vorgefahren war und daß ein Mann auf dem Rücksitz das ganze Magazin einer 6-mm-Bren auf einen anderen Mann in einem braunen Mantel leergeschossen hatte, als dieser aus der Drehtür kam. Ein Hotelangestellter war durch einen Querschläger leicht am Knie verletzt worden. Das Opfer des Mordanschlags war vorläufig noch nicht identifiziert. Der Monojag war davongerast und spurlos verschwunden. Die Polizei verfolgte mehrere Spuren und war davon überzeugt, bald eine Verhaftung vornehmen zu können.
Ich zeigte Jess den Zeitungsausschnitt und ließ dabei den dritten fallen. Ich hob ihn auf und sah mich dort selbst abgebildet.
Das Foto war nicht einmal schlecht – es zeigte nur etwas zuviel Haar und eine Narbe auf dem rechten Backenknochen, an die ich mich nicht erinnern konnte. Und der Gesichtsausdruck stimmte irgendwie nicht ganz. Aber was mich wirklich wie ein Stromstoß durchzuckte, war die Schlagzeile:
LEICHE VON FAHRGÄSTEN IGNORIERT
Darunter hieß es: Friedenskommissar Arkwright teilte heute in einer Pressekonferenz mit, daß die Identität der visalosen Leiche, die gestern in der U-Bahn gefunden wurde, trotz eifrigster Ermittlungen noch nicht festgestellt werden konnte. Die Leiche war einige Stunden lang von anderen Fahrgästen übersehen worden, die der Meinung waren, einen Schlafenden vor sich zu haben. Vermutlich handelt es sich bei dem Toten um einen Verbrecher, der von den Friedensbehörden wegen Zuwiderhandlung gegen die Lebensgesetze gesucht wurde. (Fortsetzung auf Seite 115)
»Was ist das?« fragte ich. »Ein Gag, ein Schwindel oder nur ein kleines Versehen der Redaktion?«
Jess las die Meldung. Er antwortete nicht. Ich sah mir das Bild nochmals an. Es zeigte tatsächlich mich, und ich wußte plötzlich, was mich von Anfang an daran gestört hatte ... »He!« sagte ich. »Das ist kein Schwindel. Der Kerl war wirklich tot, als die Aufnahme gemacht wurde.«
Jess warf einen Blick auf das Foto. »Wie kommst du darauf?«
»Man richtet die Leiche auf, öffnet die Augenlider, sorgt dafür, daß das Licht von den Augen reflektiert wird, steckt die Zunge in den Mund und fährt mit einem Kamm durchs Haar. Dann sieht alles richtig aus – wenn man nicht weiß, wonach man Ausschau halten muß. Die Chinesen haben den gleichen Trick angewendet, um das Rote Kreuz hereinzulegen, wenn es um Gefangene ging.«
»Schrecklich«, murmelte Jess, »aber im Grunde genommen verständlich, wenn er schon tot war, als er gefunden wurde.«
»Vielleicht bin ich etwas langsam von Begriff. Bei uns zu Hause hat man nicht oft Gelegenheit, eine eigene Todesnachricht zu lesen.«
Jess warf mir einen gequälten Blick zu. »Bildest du dir etwa ein, dieses Foto zeige dich?«
»Ich bilde mir gar nichts ein. Ich erkenne mich wieder, wenn ich mich in der Zeitung sehe.«
»Hmm, die Ähnlichkeit ist natürlich verblüffend«, meinte Jess. »Aber vielleicht betrifft der Zeitungsausschnitt einen Verwandten von dir. Vielleicht handelt es sich um eine Vendetta oder dergleichen ...«
»Eine wunderbare Theorie«, unterbrach ich ihn, »aber ich weiß von keiner Fehde, und ich habe nie einen Zwillingsbruder gehabt.«
»Du hast einen Großvater gehabt.«
»Was soll das heißen?«
»Sieh dir das Datum nochmals an«, empfahl Jess mir. »Der Ausschnitt ist über sechzig Jahre alt.«
Mein Gesicht war wie erstarrt, aber ich verzog es trotzdem zu einem Grinsen.
»Damit ist alles klar. Ich bin keine frische Leiche, die im Städtischen Leichenhaus im Kühlraum liegt; ich bin ein ehrwürdiger Kadaver, der seit über einem halben Jahrhundert die Gänseblümchen von unten wachsen sieht.«
Jess nickte vor sich hin, als bedeute das etwas. Vielleicht hatte er sogar recht. Aber ich hing vorläufig noch in der Luft und tastete mit den Zehen nach festem Boden. Die Metallröhre enthielt außer den drei Zeitungsausschnitten einen Zettel. Jess beleuchtete ihn, während ich ihn glattstrich. Der maschinengeschriebene Text
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