Magermilch
Zögern auf, nachdem ich dich nach dem Wohnort deiner Mutter gefragt hatte«, erklärte Fanni. »Es sah ganz so aus, als müsstest du überlegen, was du mir zur Antwort geben sollst. Letztendlich hast du dich für die Wahrheit entschieden. ›Taunus‹ hast du gesagt. Ja, Stockheim liegt im Rheingaugebirge, und so viel ich weiß, gehört das zum Taunus.«
Maurer grinste abfällig. »Was für eine lächerliche Beweisführung.«
»Gleich darauf kam der eigentliche Schnitzer«, fuhr Fanni fort. »Du hast erwähnt, dass es für deine Mutter einsam sei am ›alten Grubenhügel‹. Dachtest dir sicher nichts dabei, weil die Straße, an deren Ende deine Eltern wohnen, jetzt Blumenallee heißt. Was du wohl nicht wusstest, war, dass ein halb verrostetes Schild mit der Aufschrift ›Am Grubenhügel 1‹ hinter der Scheune liegt.«
Maurer applaudierte. »Sehr scharfsinnig, Miss Marple. Was für eine Spürnase. Meine Entscheidung, dich am Venediger-Gletscher in den Abgrund zu befördern, war wirklich vernünftig.«
»Pech, dass dein gemeiner Trick nicht geklappt hat«, entgegnete Fanni.
Maurer schlug mit der flachen Hand auf die Armlehne seines Stuhls. »Du solltest mir dankbar sein, dass ich deine Tochter vor dem Absturz bewahrt habe.«
Fanni musste ihm in Gedanken zustimmen, schwieg aber.
Sie wandte sich wieder Sprudel zu und nahm wahr, dass in seinen Augenwinkeln Tränen hingen.
Fanni wischte sie behutsam weg.
Er muss grässliche Schmerzen haben!
»Weiter«, verlangte Maurer. »Was hast du sonst noch herausgefunden?«
Fanni antwortete folgsam: »Das nächste Indiz dafür, dass Stolzers einen kriminellen Zocker als Geschäftsführer eingestellt hatten, fand ich in dem Beutel, den ich für dich aus der Schlafkammer im Defreggerhaus geholt habe.«
Maurer wirkte perplex.
»Auf dem Feuerzeug darin«, fuhr Fanni fort, »entdeckte ich die gleiche Spirale aus Glitzersteinen, die ich schon auf einem der Aufkleber an dem Wagen in Stockheim gesehen hatte. Diese Spirale ist mir später noch zweimal begegnet. Ein Bekannter erwähnte sie – das Symbol war ihm auf der Kappe des Fahrers eines roten Alfas aufgefallen –, und eine Nachbarin hörte ich am Telefon von einer Glitzerspirale als Anhänger an einem Goldkettchen sprechen.«
Maurer angelte die Kette unter seinem Hemd hervor und starrte auf die Spirale. »Johanns Logo. Das Firmenzeichen von Alfa Filmwelt.«
»Alfa Filmwelt«, wiederholte Fanni. »Da hast du Gisela hingelockt, und du bist weiter auf der Suche nach Darstellerinnen. Ich frage mich –«
»Du hast dich nichts mehr zu fragen«, unterbrach sie Maurer. »Und du wirst auch nie erfahren, wie ich euch bei den Sturzübungen überlistet habe.«
»Das weiß ich bereits«, erwiderte Fanni.
Als sie nicht sofort weitersprach, warf ihr Maurer einen warnenden Blick zu und deutete auf Sprudel.
Sie beeilte sich zu antworten: »Martha hat mich darauf gebracht. Ich bat sie, sich gedanklich in die Szene am Gletscher zu versetzen und genau zu beschreiben, was sie damals gesehen hat. Das tat sie. Dabei stellte sich heraus, dass das Letzte, was sie beobachtet hatte, bevor sie zur Hütte zurückkehrte, deine Sturzübung war. ›Er hat sich nicht recht getraut‹, sagte Martha, ›ist quasi nur in die Hocke gegangen und stand gleich wieder aufrecht.‹ Da wurde mir klar, dass du den Sturz nur vorgetäuscht hattest, schwer drauf bedacht, das Seil nicht zu belasten, weil es sonst mitsamt dem losen Karabiner heruntergerutscht wäre. Rudolf hat uns ja später genau demonstriert, wie die Sicherung demontiert wurde. Deine Manipulation am Seil nahm natürlich ein paar Minuten in Anspruch. Aber das fiel niemandem auf. Warum auch hättest du als Neuling den Prusikknoten in Rekordzeit schlingen sollen?«
»Martha hat dich also drauf gebracht«, wiederholte Maurer. »Die arglose Martha hat unwissentlich aufgedeckt, wie ich Fanni Rot in den Abgrund schicken wollte. Schade, dass es nicht geklappt hat.«
Fanni antwortete nicht. Sie hielt stumme Zwiesprache mit Sprudel.
Maurer sinnierte eine Zeit lang vor sich hin. Plötzlich fragte er: »Warum bist du dann mit deinen Erkenntnissen noch immer nicht zu den Bullen gegangen oder zu dem da?« Er stieß mit der Fußspitze in Richtung Sprudel.
Fanni schwieg, streichelte.
Da ertönte wieder das Lachen, das gar nicht zu dem Fritz Maurer passte, den Fanni als Geschäftsführer der Firma Stolzer & Stolzer kennengelernt hatte. »Du hast mich unterschätzt, Fanni Rot, hast nicht damit
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