Maggie O´Dell 02 - Das Grauen
an und wartete, dass sich ihr Puls beruhigte.
„Mir geht es gut. Ich dachte, alle anderen wären schon fort. Was tun Sie noch hier? Wollten Sie nicht die Greeleys zum Dinner ausführen?“
Delores drückte einige Knöpfe, und die Maschine erwachte mit sanftem, fast beruhigendem Summen zum Leben. Die Hände auf die üppigen Hüften gestemmt, sah Delores sie an.
„Sie mussten den Termin verlegen, deshalb arbeite ich einige Unterlagen auf. Aber bitte sagen Sie es Verna nicht. Sie schreit mich sonst an, dass ich ihr wertvolles Baby durcheinander gebracht habe.“ Wie auf Kommando piepste die Maschine. „Heiliger Strohsack, was habe ich jetzt wieder falsch gemacht?“
Tess lachte. In Wahrheit gehörte Delores die Maschine, so wie jeder Sessel und jede Büroklammer hier. Seit der Gründung von Heston Immobilien vor zehn Jahren hatte sich Delores in Newburgh Heights und Umgebung einen guten Namen gemacht. Keine üble Leistung für eine in Armut aufgewachsene Farbige. Tess bewunderte ihre Mentorin, die um sechs am Abend nach einemarbeitsreichen Tag in ihrem maßgeschneiderten burgunderroten Kostüm immer noch tadellos aussah. Ihr seidiges schwarzes Haar war zu einem festen Knoten geschlungen, dem sich nicht eine Strähne entwand. Nur der Umstand, dass sie auf Strümpfen ging, wies darauf hin, dass sie eigentlich Feierabend hatte.
Tess hingegen sah, dass ihre Kleidung vom vielen Sitzen verknittert war. Ihr dichtes welliges Haar kräuselte sich von der Feuchtigkeit, und etliche Strähnen lösten sich aus der Spange, mit der sie es zusammenhielt. Wahrscheinlich war sie die einzige Frau auf der Welt, die ihr naturblondes Haar zu einem undefinierbaren Braun färbte, um respektabler zu wirken und erotische Annäherungsversuche zu unterbinden. Sogar die Brille, die sie an einer Designerkordel um den Hals trug, war Tarnung. Sie trug Kontaktlinsen. Aber wirkten junge, attraktive Frauen nicht immer intelligenter, wenn sie eine Brille trugen?
Die Maschine hörte endlich auf zu piepsen und begann Kopien auszuspucken. Delores wandte sich Tess zu und verdrehte die Augen. „Verna hat ganz Recht, mich nicht an dieses Ding zu lassen.“
„Sieht aber so aus, als hätten Sie es unter Kontrolle.“
„Also, Mädchen, was tun Sie noch so spät hier? Haben Sie an einem Freitagabend nicht einen hübschen jungen Mann zum Knuddeln?“
„Ich wollte nur die Unterlagen zum Verkauf des Saunders-Hauses noch fertig machen.“
„Ja, richtig. Ich hatte vergessen, dass Sie den Verkauf diese Woche abgeschlossen haben. Ausgezeichnete Arbeit übrigens. Ich weiß, dass die Saunders’ es besonders eilig hatten mit dem Verkauf. Mussten wir einen Verlust hinnehmen?“
„Eigentlich hat sich die Sache für alle gelohnt. Außerdem haben wir ihren gesetzten Termin unterboten. Zu unserer üblichenProvision bekommen wir also auch noch den ausgesetzten Verkaufsbonus.“
„Das höre ich gern. Es gibt keine bessere Werbung, als die Erwartungen des Kunden zu überbieten. Aber der Verkaufsbonus gehört ganz Ihnen, meine Liebe.“
Tess war nicht sicher, ob sie ihre Chefin richtig verstanden hatte.
„Wie bitte?“
„Sie haben es gehört. Sie behalten den Verkaufsbonus für sich. Sie haben ihn verdient.“
Tess wusste im Moment nicht, was sie sagen sollte. Der Bonus betrug fast zehntausend Dollar. Als sie noch hinter der Bar gestanden hatte, war das der Lohn eines halben Jahres gewesen. Ihre überraschte Miene erheiterte Delores.
„Mädchen, Sie müssten Ihr Gesicht sehen.“
Tess wartete schwach lächelnd ab und traute sich vor Verlegenheit nicht zu fragen, ob ihre Chefin scherzte. Es wäre ein grausamer Scherz und leider nicht das erste Mal, dass man sich auf ihre Kosten amüsierte. Doch sie nahm es hin und erwartete Gemeinheit fast eher als Freundlichkeit.
Delores sah sie wieder besorgt an.
„Tess, das ist mein Ernst. Ich möchte, dass Sie den Verkaufsbonus behalten. Sie haben sich so abgestrampelt in den letzten zwei Wochen. Ich weiß, dass das Haus schön und eigentlich ein Schnäppchen war, aber der Verkauf hat viel Arbeit und lange Verhandlungen gekostet. In der gegenwärtigen Lage etwas so schnell und besonders in der Preisklasse an den Mann zu bringen, grenzt an ein Wunder.“
„Nun ja, aber der Bonus, das ist eine Menge Geld. Sind Sie sicher, dass Sie ...“
„Absolut. Ich weiß genau, was ich tue, meine Liebe. Ich investierein Sie, weil ich möchte, dass Sie bei mir bleiben. Es fehlte mir gerade noch, dass Sie sich selbstständig
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