Maggie O´Dell 02 - Das Grauen
plötzlich - klatsch - in der Mitte.“
Cunningham zog die Stirn kraus, als erinnere ihn das an etwas. „Prüfen Sie noch mal Stuckys frühe Akten. Vergewissern Sie sich, dass die Abdrücke nicht verändert oder vertauscht wurden, oder dass es gar ein Computerfehler war. Wenn ich mich recht entsinne, hat Agentin O’Dell ihn seinerzeit anhand eines hinterlassenen Fingerabdrucks überführt. Auch damals hat er ihn absichtlich zurückgelassen. Auch damals brauchten wir eine Weile, ihn zu identifizieren, weil sich jemand in das Computersystem des County eingeklinkt und die Abdrücke vertauscht hatte.“
„Ich überprüfe das, Sir. Aber wir haben es hier nicht mit dem Computersystem eines Bezirkssheriffs zu tun. Wir gleichen die Abdrücke mit denen ab, die AFIS direkt von Stucky genommen hat. Und bei allem Respekt, ich glaube kaum, dass man so einfachin das Computersystem des FBI kommt.“ AFIS, das Automatische Fingerabdruck-Identifikationssystem war die Haupt-Datenbank des FBI. Obwohl ' Regierungsstellen zusammenarbeitete, waren Dutzende Vorsichtsmaßnahmen gegen Hacker eingebaut.
Cunningham kratzte sich seufzend das Kinn. „Sie haben wahrscheinlich Recht“, räumte er ein, und Tully bemerkte, wie müde er wirkte.
„Vielleicht stammen die Abdrücke von einem Polizei-Neuling“, erwiderte er, als könnte er damit Cunninghams Erschöpfung mildern. „Wenn ja, dann wissen wir das in den nächsten vierundzwanzig Stunden. Gehören sie keinem Beamten, suche ich allgemein weiter.“
Tully ließ die Brille aufgesetzt, weil er sich damit wacher und kompetenter vorkam. „Sir, ich habe nirgendwo einen Hinweis gefunden, dass Stucky durch das Entnehmen der Organe irgendeine Botschaft verkünden will. Entgeht mir da etwas?“
„Nein, Ihnen entgeht nichts. Stucky macht das, um zu schockieren, und weil er es kann“, sagte Cunningham und kam weiter in Tullys Büro, blieb aber stehen.
„Hat er mal Medizin studiert?“ Tully blätterte eine Akte durch, die Agentin O’Dell über Stuckys Vergangenheit zusammengestellt hatte. In vieler Hinsicht klang sein Lebenslauf wie der eines erfolgreichen Geschäftsmannes.
„Sein Vater war Arzt.“ Cunningham rieb sich das Kinn. Tully hatte bemerkt, dass sein Boss diese Geste stets machte, wenn er erschöpft war und in seinem Gedächtnis eine Information abzurufen versuchte. Er nutzte die Gelegenheit, das Gesicht seines Chefs zu studieren, das im Neonlicht schmaler wirkte, mit eingefallenen Wangen und dunklen Rändern unter den Augen. Trotz Erschöpfung war seine Haltung straff aufrecht. Keine hängenden Schultern,als er sich jetzt gegen das Bücherregal lehnte. Alles an ihm verströmte ruhige Würde.
Schließlich fuhr er fort: „Wenn ich mich recht entsinne, gründeten Stucky und sein Partner eine der ersten Aktienhandelsfirmen im Internet, verdienten Millionen und parkten sie auf Konten im Ausland.“
„Wenn wir ein paar von diesen Konten finden könnten, finden wir vielleicht auch ihn.“
„Das Problem ist nur, wir konnten nie feststellen, wie viele Konten er betreibt und unter welchen Namen. Stucky ist klug, Agent Tully. Er ist gerissen, sehr intelligent und fast immer Herr des Geschehens. Er ist nicht annähernd mit anderen Tätern zu vergleichen. Er tötet nicht aus Zwang oder weil er eine Mission erfüllen muss oder den Drang dazu verspürt oder weil er etwa innere Stimmen hört. Er tötet aus dem einzigen Grund, weil es ihm Spaß macht. Es ist ein Spiel für ihn, zu manipulieren, den menschlichen Geist zu brechen und mit seinen Taten zu schockieren. Und er will vor allem uns, die wir ihn fangen wollen, eine Nase drehen.“
„Sicher macht sogar Albert Stucky Fehler.“
„Wir wollen es hoffen. Haben Sie eine Ahnung, wo er das Opfer aufgegriffen hat?“
Wieder holte Tully Notizen aus einem Stapel, um sich nicht auf sein müdes Hirn zu verlassen. Das machte ihn zugleich verlegen, weil er auf alles gekritzelt hatte, angefangen von einer Serviette bis zu einem grauen Papierhandtuch von der Herrentoilette.
„Wir wissen, dass sie erwischt wurde, ehe sie ihre Runde beenden konnte. Einige Kunden beschwerten sich beim Pizzadienst, dass sie nicht beliefert wurden. Der Manager macht mir eine Liste mit Anschriften, die sie anfahren sollte.“
„Warum dauert das so lange?“
„Wenn der Auftrag eingeht, schreiben sie die Adresse auf. Der Auslieferer nimmt dann den Zettel mit.“
„Sie machen Witze.“ Cunningham seufzte, und zum ersten Mal glaubte Tully zu erkennen, wie
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