Maggie O'Dell 03 - Schwarze Seele
ließ.
„Sirs, wenn Sie mir bitte folgen würden. Ich bringe Sie zum Tatort.“ Der Uniformierte griff nach Cunninghams Aktentasche und wusste offenbar sofort, bei wem er sich einschleimen musste. Tully war beeindruckt. Cunningham ließ sich jedoch nicht drängen und hielt abwehrend die Hand hoch.
„Ich brauche Namen“, sagte er. Das war keine Bitte, sondern ein Befehl.
„Ich bin nicht autorisiert...“
„Verstehe schon“, fiel Cunningham ihm ins Wort. „Ich verspreche Ihnen, dass Sie keine Schwierigkeiten haben werden. Aber wenn Sie es wissen, müssen Sie es mir sagen. Ich muss es wissen.“
Der Soldat nahm wieder militärische Haltung ein, hielt Cunninghams Blick stand und gab nicht nach. Cunningham erkannte wohl, mit wie viel Entschlossenheit er es zu tun hatte. Tully konnte kaum glauben, was er seinen Boss als Nächstes sagen hörte.
„Bitte, sagen Sie es mir!“ bat er leise, in verschwörerischem Ton.
Ohne den stellvertretenden Direktor genauer zu kennen, musste auch der Soldat gespürt haben, wie viel Überwindung es ihn kostete, zu bitten. Der Mann lockerte seine Haltung, und die harte Miene wurde weicher.
„Ich kann Ihnen ehrlich nicht alle Namen der Getöteten nennen, doch der tote Agent hieß Delaney.“
„Richard Delaney?“
„Ja, Sir. Ich glaube, Sir. Er verhandelte für das Geiselrettungsteam. Wie ich hörte, hatte er sie so weit, dass sie reden wollten. Sie luden ihn in die Hütte ein und eröffneten das Feuer, diese Bastarde. Entschuldigung, Sir.“
„Nein, Sie müssen sich nicht entschuldigen. Und danke, dass Sie es mir gesagt haben.“
Der Soldat wandte sich ab, um sie durch den Wald zu führen, doch Tully fragte sich, ob Cunningham den Weg schaffte. Sein Gesicht war kreideweiß, und sein sonst aufrechter Gang wirkte taumelnd.
Mit einem Seitenblick zu Tully bekannte Cunningham: „Ich habe Scheiße gebaut. Ich habe soeben Agentin O’Dell zur Autopsie eines ihrer Freunde geschickt.“
Tully wusste, dass dies ein außergewöhnlicher Fall werden würde. Die Tatsache, dass Cunningham die Worte „bitte“ und „Scheiße“ an einem Tag benutzte, sogar innerhalb einer Stunde, war kein gutes Omen.
4. KAPITEL
Maggie nahm das feuchte, kühle Handtuch an, das Stan ihr reichte, ohne ihn anzusehen. Mit einem kurzen Seitenblick hatte sie seine Besorgnis bemerkt. Er musste sogar sehr besorgt sein. Nach der Weichheit des Handtuchs zu urteilen, stammte es von seinem privat gewaschenen Stapel. Die steifen Behördenhandtücher rochen nach Chlor. Der Mann war von Sauberkeit besessen, sie war geradezu sein Fetisch. Was im Gegensatz zu seiner beruflichen Tätigkeit stand, die wöchentlichen, sogar täglichen Kontakt mit Blut und Körperflüssigkeiten erforderte. Maggie war jedoch froh über seine Freundlichkeit. Wortlos drückte sie das Gesicht in den kühlen, weichen Stoff und wartete, dass sich die Übelkeit legte.
Sie hatte sich seit ihrem Eintritt in die Behavioral Science Unit, BSU, in die Abteilung für wissenschaftliche Verhaltensstudien beim Anblick einer Leiche nicht mehr übergeben. Sie erinnerte sich noch an ihre erste Tatortbegehung: spaghettiartige Blutspuren an den Wänden eines heißen, von Fliegen wimmelnden übergroßen Wohnwagens. Das blutige Opfer war verstümmelt worden und hing an einem ausgerenkten Fuß vom Haken an der Decke wie ein abgeschlachtetes Huhn, das zappelnd ausgeblutet war. Was die Blutstreifen an der Wand erklärte. Seither hatte sie Ähnliches und Schlimmeres gesehen - Körperteile in Essensbehältern und aufgeschlitzte kleine Jungen. Doch eines war ihr erspart geblieben. Sie hatte nie in einen Leichensack voller Blut, Cere-bral- und Spinalflüssigkeit und Hirnmasse eines Freundes blicken müssen.
„Cunningham hätte es Ihnen sagen sollen.“ Stan Wenhoff beobachtete sie vom anderen Ende des Raumes. Er hielt Abstand, als sei ihr Zustand ansteckend.
„Ich bin sicher, er hat es nicht gewusst. Er war mit Agent Tully im Aufbruch zum Tatort, als er mich anrief.“
„Nun ja, sicher wird er Verständnis haben, dass Sie mir nicht assistieren.“ Er klang erleichtert - nein, erfreut - weil sie nun nicht den Morgen über wie ein Schatten an ihm kleben würde. Maggie lächelte in ihr Handtuch. Der gute alte Stan war wieder ganz er selbst.
„Ich kann Ihnen bis Mittag ein paar Autopsieberichte liefern.“ Er wusch sich schon wieder die kostbaren Hände, als hätte er sie beim Übergeben des feuchten Handtuchs kontaminiert.
Ihr Drang zu fliehen war zwar
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